Sonntag, 17. Juni 2007
Kapitel VIII - Saône
Entsetzt wurde Sandreel losgelassen und fiel nach hinten auf den Wüstenboden. „Du lügst …“, leise entwichen die Worte der Anderen. Ihre Augen waren in die Ferne gerichtet und verschwommen, während ihre Haare leicht im Wind flatterten. „Nein, du bist Ayesha, meine Mutter!“ Mühsam stieß Sandreel sich vom Boden ab und schaute ihrer Mutter in die Augen.
Die blauen Augen von Ayesha wirkten verklärt, während sie sich zitternd von Sandreel entfernte. „Du lügst.“ Beim Sprechen brach ihre Stimme und eine Träne rann über ihre hervorstechenden Wangenknochen, die sie mit ihrer zittrigen Hand wegwischte. „Hörst du mich? Du lügst!“ Ihre Augen wurden nun vollkommen glasig und sie wandte sich wieder Sandreel zu und packte sie grob an den Schultern. „DU LÜGST! Sag, dass du lügst!“ Ihre Augen waren nur eine Fingerkuppe von Sandreels entfernt und die Tränen rannen ihr in Sturzbächen die Wangen herunter, während sie mit ihren knochigen Händen Sandreel zusammendrückte. „Nein …“, mit belegter Stimme antwortete Sandreel, am ganzen Leib zitternd. Fassungslos sah ihre Mutter sie an, ließ sie sinken und vergrub die Hände in ihrem Gesicht, wobei man ein leises Wimmern vernehmen konnte.
Sandreel wollte sich gerade aufrichten, als sie ein Schlag mitten ins Gesicht traf, sodass sie rücklings in den Sand flog. „DU ELENDE LÜGNERIN!“ Ayeshas Augen waren gerötet und kleine Äderchen traten auf ihrer Stirn hervor. „HÖR AUF ZU LÜGEN!“ Wieder schlug Ayesha zu, die Tränen waren aus ihrem Gesicht verschwunden, nur purer Hass loderte in ihr. „Nein, nicht …“, Sandreel wollte schützend die Arme vor ihr Gesicht, ihren Bauch reißen, doch da traf sie ein weiterer Schlag, sodass ihr Nase laut knackte und Blut in alle Richtungen spritzte. „Nein …“ Sandreel wandte sich unter den eintreffenden Schlägen am Boden und versuchte am Boden wegzurobben, doch Ayesha warf ihr die Kordel ihrer Kutte um den Hals und band ihr so die Luft ab. „LÜG – MICH – NICHT – AN!“ Bei jedem Wort zog sie die Kordel enger und Sandreel röchelte lautstark nach Luft, um gleichzeitig mit ihren Händen auf Ayesha einzuschlagen. „Dandruil …“ Sie hauchte die Worte in den Wind und verstummte, als ihr Kopf vorne rüber knickte.

„Sie sieht so schwach aus. Wird sie es schaffen?“ „Mit ein bisschen Wurzenkraut … Ayesha hat ihr zwar Schwellungen zugesetzt, aber die verschwinden wieder.“ „Sind bleibende Schäden zu vermuten?“ „Nein. Zumindest nichts Ernstes. Aber jetzt raus hier, Kranke brauchen Ruhe!“ Sandreel konnte ein Tür auf- und zugehen hören, dann das Schieben eines Stuhls und zuletzt das Kratzen einer Feder auf Pergament.
Wo bin ich? Was ist mit mir passiert und warum hat mich Ayesha … meine eigene Mutter nicht erkannt und so reagiert? Ach Dandruil … rette mich …
Ihre Augen waren schwer und müde, doch sie wollte Antworten und wandte so ihren ganzen Willen auf. Langsam erhob sie sich im Bett und blinzelte durch ihre Augen. Helligkeit flutete einen kleinen Raum, der mit drei Betten, einem Tisch und einem Stuhl, einem großen Schrank und mehreren kleinen Hockern voll geräumt war. Ein Fenster war geöffnet und frische Luft und der Geruch von Kräutern wehte herein. Das Kratzen der Feder hielt an und Sandreel drehte den Kopf, um nach dem Verursacher zu schauen.
An dem Schreibtisch saß … ja, was saß da überhaupt? Es schien, als würde dort auf einem Stuhl ein großer Mantel stehen, aus dem oben ein roter Wust Haare herausguckte. Beim näheren Betrachten fielen Sandreel die beiden Stummelbeine auf, die in unförmigen Schuhen mehr als eine Handbreit über dem Boden baumelten. Auch bemerkte sie jetzt, dass sich die Haare bewegten und kleine Arme immer wieder neben dem Mantel her nach vorne und hinten fuhren.
Sie musste husten und lachen zugleich, als sie sich vorstellte, dass man ein kleines Kind in einen zu großen Mantel gesteckt hätte. Das Kratzten brach abrupt ab und die kleine Person hopste vom Stuhl und kam auf Sandreel zugeeilt. Sandreels Grinsen verstärkte sich nur noch mehr, als sie die kindlichen Züge der Frau sah. Die roten, gelockten Haare waren über eine Hälfte des Gesichts gefallen und so guckte nur ein tiefbraunes Auge keck unter der Stirn hervor. Die Nase war zu klein und pummelig für das Gesicht geraten, ebenso wie der Hals, der den Kopf fast nahtlos in die fransige Halskrause des Mantels übergehen ließ.
„Wieder wach? Und gleich mit so guter Laune? Naja … nach vier Tagen Schlaf hätte ich auch gute Laune …“, plapperte die Rothaarige munter drauf los, während sie zugleich Sandreels Kissen und Decke zurechtrückte. „Wo bin ich … und wer sind …?“ Weiter kam Sandreel nicht, da die Fremde ihr ein Glass Wasser in den Mund kippte, woran Sandreel sich sogleich heftig verschluckte. „Du hast gleich noch Zeit für Fragen. Jetzt müssen wird dich erst einmal ein bisschen aufpäppeln, wa?“ Gut gelaunt und quirlig huschte sie zu ihrem Schreibtisch zurück und öffnete verschiedene Schubladen, nahm Kräuter heraus, legte welche zurück und vermengte zum Schluss ein paar miteinander. Mit einem weißen Porzellantopf bewaffnet näherte sie sich wieder dem Bett und legte eine ihrer warmen, kleinen Hände auf Sandreels Stirn. „Fieber hast du nicht, nein. So … diese Salbe wird dir helfen, wieder gesund zu werden. Die letzten Tage habe ich sie dir drauf gemacht, aber ich denke du kannst das besser selber. Reib einfach da die Stellen an deinem Hals ein.“ Sie reichte das kleine Töpfchen mit der grünen Paste Sandreel, die zögerlich mit den Fingerspitzen eintauchte und dann die Creme langsam und sorgfältig auf ihren Schultern und dem Hals verteilte. Es kribbelte erst ein bisschen, fühlte sich dann aber ganz angenehm an. „Gut … das wiederholen wir jetzt jeden Tag zweimal und dann bist du schnell wieder gesund, wa?“, teilte ihr ihre Krankenschwester über die Schulter mit, die das Pöttchen wieder an sich genommen und auf dem überladenen Schreibtisch abgestellt hatte.
Während der ganzen Zeit war Sandreel nicht zu Wort gekommen, da die energische kleine Frau jeden ihrer Versuche abgebügelt hatte. Jetzt aber drängten die Fragen aus ihr hervor: „Wie heißen sie? Und – wo bin ich hier?“ „Oh, wie dumm von mir. Ich bin Mrs. Twings. Deneva Twings. Reicht, wenn du mich Deneva nennst, hmm. Ich leg nicht soviel auf Äußerlichkeiten, wa?“, rief ihr Deneva wieder über die Schulter zu, während sie zugleich einen Haufen Papiere durchwühlte und offenbar triumphierend schließlich einen von ganz unten herauszog. „Was war noch? Ach ja … wo du hier bist. In Saône, dem Kloster der Sakkarapriester. Wo hab ich es bloß …?“, setzte sie hinzu, wobei nicht klar war, ob sie mit sich oder mit Sandreel sprach.
Ein Kloster der Sakkarapriester? Wo bin ich da nur herein geraten?! Aber … dass was sie von mir wollen, werden sie niemals bekommen. Mit dieser Deneva sollte ich mich allerdings gut stellen, die scheint ganz nett zu sein. „Ha, hier ist er doch!“, rief Deneva aus, während sie ihr erstes Pergament achtlos irgendwo reinstopfte und ein neues, vergilbtes hochriss. Leise murmelte sie etwas vor sich hin, bis sie dann laut ausstieß: „Wusste ich es. Winsen- und Wurzenkraut konnte ich noch nie unterscheiden. Zum Glück hab ich dir den Trank noch nicht gegeben.“ Sie deutete auf einen Kessel, der auf einem der zahlreichen Hocker vor sich hinbrodelte und ab und zu kleine Dampfwolken ausstieß. Unwillkürlich verkrampfte sich Sandreels Hand im Bettlaken und ihre Knöchel traten weiß hervor. Hat sie mir Gift gegeben?! Zweifelnd zitterte Sandreel am ganzen Körper und schaute nervös zu Deneva, die nichts von Sandreels Gewissenskämpfen mitzukriegen schien. „Denn du musst wissen, Wurzenkraut ist eins der tödlichsten Gifte überhaupt. Winsenkraut hingegen heilt Verbrennungen und Schürfwunden. Ich sag dir, dat sähe nicht so schön aus, wenn du statt Winsen- Wurzenkraut essen würdest. Ich hab’s schon mal mit angesehen. War kein schöner Anblick, wa?“ Deneva ging vom Schreibtisch zum Kessel und tippte einmal mit dem Finger dagegen und murmelte „Nimron“, worauf der Inhalt des Kessels ins Nichts verschwand.
Sandreel beruhigte sich langsam wieder, als sie das aus Denevas Mund hörte. Aber – ihre wichtigste Frage war immer noch unbeantwortet. Warum bin ich hier? Und – warum fällt mich meine eigene Mutter an? „Aber … ich weiß zwar jetzt wo ich bin und wer du bist, aber warum bin ich hier?“ Sandreel konnte ihre Fragen nicht länger zurückhalten. Deneva stellte einen Kolben, den sie gerade erst hochgehoben hatte, wieder ab und drehte sich langsam um. Sie seufzte einmal und schaute dann in Sandreels himmelblaue Augen. „Das darf ich dir nicht sagen. Aber ich sehe in deinen Augen, dass du es eh schon weißt … oder vermutest. Bist ein schlaues Mädchen, wa?“ Sandreels Herz begann zu rasen. Das durfte … das konnte nicht wahr sein. NEIN! Innerlich schrie sie auf, begehrte dagegen, vergaß all die neue Geborgenheit, die sie soeben erfahren hatte. Doch … äußerlich blieb sie ruhig. Ich darf sie mir nicht zur Feindin machen. Mit brüchiger Stimme stellte sie ihre zweite Frage: „Und Ayesha – warum hat mich meine eigene Muter angefallen?!“ Diesmal seufzte Deneva noch mehr. Sie kam langsam zu Sandreels Bett herüber und zog einen kleinen Hocker mit sich, auf den sie sich draufsetzte, was bei ihrer Größe erstmal einige Zeit dauerte. Dann schaute sie Sandreel abermals tief in die Augen, bevor sie erneut zu sprechen begann. „Ich weiß nicht, ob du Ayeshas Kind bist. Schau … Ayesha kam vor vielen Jahren zu uns, in einer stürmischen Nacht. Die Glocken läuteten, wie auch bei deiner Ankunft, und sie wurde von unserer obersten Schwester gefunden und gepflegt. In ihren Fieberträumen erzählte sie immer von zwei Kindern … ja, von zwei Kindern … die wir retten und schützten sollten. Die sie retten und schützen wollte. Das eine wirst vielleicht du sein, wa, das andere kennen wir nicht. Sie warf sich immer unruhig des Nachtens hin und her und schrie erbittert auf, doch eines Nachts erzählte sie, dass ihr erstes Kind in einem Sturm gestorben und das zweite weggelaufen sei. Unerträgliche Schmerzen muss sie erlitten haben, als ihr das wertvollste, was sie hatte abhanden gekommen ist. Verstehst du? Nein? Dann hör weiter zu … Nach jener Nacht wachte sie aus ihren Fieberträumen auf. Als wir sie fragten, ob sie Kinder oder Angehörige hätte, log sie und sagt nein. Sie hat nie mehr von ihren Kindern gesprochen und ihre Seele schien immer mehr zu verfallen. Nachdem wir ihren Schmerz nicht mehr ertragen konnten, gaben wir ihr einen Vergessenstrank. Seitdem kann sie sich nicht mehr an dich oder ihr anderes Kind erinnern, wa? Aber … dein Gesicht hat sich tief auf ihre Seele eingebrannt, so tief, dass es selbst ein Vergessenstrank nicht mehr auslöschen könnte. Wenn sie dich jetzt sieht, kommen ihre unterdrückten Erinnerungen hoch, auch wenn sie eigentlich gar nicht weiß, dass sie Kinder hatte. Und … du hast ja gesehen, was dann passiert. Bleib einfach fern von ihr oder erwähne nicht, dass du ihre Tochter bist, wa? Wird für alle das Beste sein …“ Deneva schüttelte ein paar mal den Kopf, blieb aber an Sandreels Bett sitzen.
Meine Mutter … die mich soviel Qual und Leid erdulden ließ, hat wegen mir gelitten? Ist wegen mir dem Wahnsinn verfallen? Sandreel konnte es nicht fassen und schüttelte ungläubig wieder und wieder den Kopf. Das kann nicht war sein. Nicht sie. Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als die tiefe Glocke wieder zu schlagen begann. „Oh ja, es gibt Essen. Du bleibst aber besser in deinem Bett, wa? Ich bringe dir später was.“ Deneva räumt den Hocker zur Seite und verließ den Raum durch die kleine, unscheinbare Eichentür, die Sandreel bis jetzt noch nicht aufgefallen war. Als die Tür zugeschnappt war, konnte sie einen alten Schlüssel hören. Sie saß also in der Falle.

Nachdem sie eine ganze Zeit nervös im Zimmer umher gewandert war, lag sie nun schon länger auf dem Bett und ließ die letzten Tage Revue passieren. In so kurzer Zeit ist so viel passiert. Dandruil …wenn du doch nur bei mir wärst und mich unterstützen könntest … Sie seufzte laut und drehte sich auf dem Bett um und starrte die weiß verkalkte Wand an. Sanft sanken ihre Lider nach unten und sie verfiel in einen unruhigen Schlaf.

Das plötzliche Klappern der Tür schreckte Sandreel aus ihrem Schlaf hoch. Müde rieb sie sich die Augen, während sie sich mit einer Hand vom Bett abstützte und schon wieder die plappernde Stimme von Deneva vernahm. „Soderle. Da ham wir hier eine schöne, heiße Brühe, wa? Ist noch ganz frisch, wir mussten vorm Essen noch was besprechen. Iss also schön langsam, sonst verbrennst du dich noch und du bist im Moment schon krank genug, wa?“ Deneva stellte ein kleines Tablett mit einer dampfenden Schale auf Sandreels Schoß ab und wandte sich schon wieder dem Schreibtisch zu. „Ist ’ne Fleischbrühe, wirste schon mögen. Und … mach dir keine Sorgen, dass wir dich hier vergiften wollen. Die anderen haben … anderes mit dir vor.“ Ein Hauch von Mitgefühl schwang jetzt in Denevas Stimme mit, vielleicht hatte sie sich nicht grundlos umgedreht, denn man konnte laut und deutlich einen Schniefer hören.
Doch Sandreel hatte so einen Hunger, dass sie sich über solche Sachen keine Gedanken machen konnte. Begierig tauchte sie den Löffel ein und schluckte hastig die heiße Brühe. Deneva hatte nicht übertrieben, sie war wirklich noch recht heiß. Nachdem sie aufgegessen hatte, konnte sie sich endlich wieder ihrer Betreuerin zu wenden, die die ganze Zeit schon verdächtig ruhig gewesen war. „Ich weiß zwar jetzt, dass ich in Saône bin, doch ich kann mir darunter immer noch nichts vorstellen. Ein Kloster der Sakkarapriester. Ihr seid doch eine Sekte, ein meuchelnder, blutgieriger Haufen. Ihr seid … die Grausamkeit in Person.“ Deneva drehte sich auf dem Stuhl herum und starrte Sandreel an. Einen momentlang bewahrte sie ihre Ernsthaftigkeit, dann kam es prustend aus ihr hervor und sie musste laut lachen. „Was … habe ich was gemacht?“ Sandreel stellte das Tablett von ihrem Schoß auf den Boden und starrte fassungslos Deneva an. „Nichts, nichts … es ist schon alles in Ordnung.“, brachte diese hervor und wischte sich dabei unter Kichern Lachtränen aus den Augen. „Es ist nur so erstaunlich, dass ihr … Anderen körperlichen Schmerz immer schlimmer darstellt als psychischen.“ Sie musste glucksen. „Obwohl doch eure eigenen Priester schon vor langer Zeit verkündeten, dass ein Wort mehr verletzen kann als 1000 Schläge.“ Abermals lachte sie, riss sich aber nun zusammen und schaute Sandreel wieder ernst an. „Nur … was willst du denn wissen? Ich mein, ich kann dir nicht alles erzählen, wa?“ „Alles. Ich möchte alles wissen, was ich wissen darf.“ „Alles? DAS könnte etwas dauern, wa?“ Mit einem Schmunzeln stand sie auf und setzte sich zu Sandreel aufs Bett. „Also … was weißt du überhaupt über den Sakkaraorden? Ich vermute mal nicht viel …“ „Nein, ich weiß gar nichts über euch. Außer, dass ihr gewalttätig seit, unmenschliche Riten vollführt, Mensch und Tier quält und dem Blutwahn erliegen seid.“ „Dann weißt du doch schon fast alles.“ Deneva verzerrte ihr Grinsen zu einer unmenschlichen Fratze und schaute Sandreel tief in die Augen. „Wir beten Morgana, die Göttin der Zerstörung und des Todes, als Höchstes in der Welt an. In den Schriften steht geschrieben, dass sie eines Tages in einem jungen Körper zu uns zurückkehren wird und die Welt von allem Übel befreit. Bis zum Tag der Erleuchtung müssen wird Gläubigen jedoch den Kontakt zu den Unreinen meiden. Und so ist es unsere Aufgabe alle Abfälligen zu vernichten und uns an ihrem Blut zu laben. Dies hier ist der Ort, an dem Morgana einst das Antlitz der Welt verließ und uns ihre Schriften hinterließ. Seit Tausenden von Monden leben wir hier schon und warten auf die Rückkehr Morganas. Und so wie es aussieht, ist in den letzten Tagen die Dämmerung angebrochen … nicht mehr lange …“
Sandreel hatte sich bei den letzten Worten geschüttelt. Sie konnte doch nicht Morgana sein? Nein. Ich hätte es gemerkt. Ich kann nicht Morgana sein. Nein. Aber ich weiß vermutlich wer es ist …Sandreel starrte Deneva an. „Warum erzählst du mir das alles?“ Eins der zwei rehbraunen Augen starrte zurück und zwang Sandreel den Blick abzuwenden. „Ich glaube wie alle hier an Morgana. Doch … ich glaube auch an die Liebe. Wie ich schon sagte: Ein Wort kann mehr Schmerz zufügen als 1000 Schläge. Ich warte nicht nur auf Morgana … Doch jetzt lass uns nicht nur auf so unerfreulichen Themen herumreiten, erzähl mir doch mal was du so gemacht hast … früher. Ich muss dich hier noch ne ganze Zeit ertragen, wa? Da will ich wenigstens ein paar Geschichten hören, ne!“ Sandreel schluckte. Und fing an zu erzählen.

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Kapitel VII - Ringe
Schweißgebadet öffnete Gondar die Augen. Er konnte den Ausdruck, der zuletzt auf Nuguas Gesicht gewesen war, nicht mehr verdrängen. Er schüttelte sich. Dieser Schmerz, dies Hoffnungslosigkeit …Er rieb sich die Stirn und verdrängte die schlechten Gedanken. Woher kannte sie Kandir? Bei dem Gedanken an seinen „Liebsten“ wurde ihm warm ums Herz und er erhob sich von der spärlichen Lagerstätte, die sie nach ihrer Flucht hastig eingerichtet hatten. Die ganze Dämmerung waren sie durch Büsche und Hecken gestolpert, bis sie schließlich diese Wiese nahe einem Fluss erreicht hatten. In der Dunkelheit blitzte das Wasser durch die Strahlen des Mondes erleuchtet silbern und das Rauschen klang laut und dröhnend in den Ohren. Allen Schmerz vergessend machend …
Gondar drehte sich um und schaute Kandir an. Doch – die Mulde im Gras, wo er gelegen hatte, war leer und nur Kandirs Beutel und Schwert zeugten von seiner Anwesenheit. Hastig schlich Gondar zu der Stelle und hielt nach Spuren eines Kampfes Ausschau. Doch nichts dergleichen konnte er entdecken. Nur ein kleiner durch die langen Gräser getrampelter Pfad fiel ihm auf. Er richtete seinen Oberkörper auf und verfolgte mit seinen Augen die Spur, bis diese am Flussufer endete, wo ein Stoffhaufen lag.
Halb kriechend, halb gebückt rennend war Gondar am Ufer angelangt. Als er auf den Fluss schaute, stockte ihm der Atem.
Kandir badete im kühlen Wasser und im hellen Mondschein konnte Gondar jeden einzelnen Muskel erkennen, die Kandir spielerisch nacheinander anspannte. Er konnte seinen Blick einfach nicht von ihm abwenden, auch wenn er wusste; dass dieser ihn jederzeit entdecken könnte. Warum nur ihn? Er hasst mich doch …Immer noch gebannt blickte Gondar auf den gut gebauten Körper Kandirs und verschlang diesen mit seinen Blicken. Als Kandir nun aus dem Wasser heraus ans Ufer trat, konnte Gondar ihn in seiner vollen Pracht betrachten und versank in seinem Entzücken …

Die Sonne warf ihre ersten Strahlen über den Hügel und kitzelte mit ihren warmen Strahlen Dandruil wach. Der nahe Fluss plätscherte vor sich hin, und es sah aus, als würde sich eine große blaue Schlange durch das hüfthohe Gras schieben. Der Wind rauschte leise und bog die Gräser mal in die, mal in jene Richtung, während die vereinzelten Bäume wie steinerne Säulen in den Horizont ragten.
Dandruil seufzte, stütze sich am Boden ab und stand mühsam auf. Der Kampf und die anschließende Flucht durch die dunklen Gänge, bei der er sich mehrmals gestoßen hatte, zehrten immer noch an seinen Kräften, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte. Er drehte sich und schaute nach den Anderen. Gondar lag noch immer friedlich schlummernd im platt gedrückten Gras. Er zuckte zwar ein paar Mal nervös im Schlaf, so als würde er sich unter Schlägen winden, doch schnell entspannte sich sein Ausdruck wieder.
Dandruils Blick wanderte weiter zu Kandir, doch … er stutzte. Er erkannte zwar am platt gewälzten Gras, wo dieser geschlafen hatte, aber jetzt war die Stelle verwaist. Nachdenklich schaute er zum Fluss, und tatsächlich: Auf einem Felsen am Ufer saß Kandir, den Kopf auf die verschlungenen Arme gelegt und starrte ins Wasser. Langsam bahnte sich Dandruil einen Weg über die Wiese bis er schließlich bei diesem angelangt war. Er zog sich auf den Stein und ließ sich neben Kandir nieder, der nur kurz den Kopf wand und danach wieder seinen Blick ins Wasser gleiten ließ.
Die Zeit verstrich, bis Kandir anfing zu reden. „Ich kannte sie schon länger. Viel länger, als du jetzt glauben magst. Es wird für uns nicht leichter. Nicht, nachdem bereits zwei von uns gegangen sind.“ „Wen meinst du mit zwei? Und … was wird nicht leichter?“ Erstaunt wandte sich Dandruil zu Kandir. Jetzt verstand er gar nichts mehr. „Was? Oh … habe ich geredet? Ich war in Gedanken.“ Kandir glotzte ihn jetzt wie eine Kuh an und schüttelte sich, sodass der Zopf durch die Luft flog und ein sausendes Geräusch verursachte. Er ging nicht weiter darauf ein und stütze sich behände vom Stein ab, um in großem Bogen von dem Felsen herunter zu springen. „Wir sollten uns auf den Weg machen. Die Leute in Reckenheim werden nicht gerade erfreut sein.“

Luc atmete auf. Nach der Verwirrung gestern hatte er sich unbehelligt davon stehlen können und war in den nahen Wald geflohen. Er sammelte sich und schloss die Augen. Kandir … wo bist du? Er darf nicht sterben. Nicht er. Nicht heute.
Er seufzte und stand auf. Mit der linken Hand fuhr er sich ungeschickt durch die wenigen Haare und marschierte los. Ich muss vor ihnen da sein. Unser alle Schicksal steht auf dem Spiel.

Sandreel öffnete die Augen. Sie wusste nicht mehr, wo sie war. Während der letzten Tage waren sie durchgehend geritten und hatte nur zum Schlafen Halt gemacht. Die Fesseln hatten sich tief in ihr Fleisch eingeschnitten und nahmen ihr zunehmend die Kontrolle über ihren Körper. Sanft strich sie sich über den gewölbten Bauch. Ich muss es schaffen.
Sie zuckte zusammen, als sich ein Bild vor ihren Augen schloss. „NEIN!“ Laut schrie sie in die Finsternis, als sie begriff. Begriff und verstand. Die Priesterin lächelte stumm vor sich hin. „NEIN!“ Nicht sie. Sie wandte sich unter den Fesseln. Wollte verschwinden. Sie wusste wieder, woher sie die Stimme kannte. Laut schrie sie sich ihre schiere Angst von der Seele und wollte nur noch vergessen. Nichts mehr fühlen und nur noch vergessen. „NEIN!!“

Während der blaue Himmel über ihnen hinweg zog, veränderte sich der Boden zusehends. Den Schneemassen war rasch ein unebener Steinboden gefolgt, der Sandreel bei jedem Auftritt ihres Pferdes neue Stöße in den Rücken verpasste, sodass sie sich regelrecht freute, als sie nach einiger Zeit die Felsebene hinter sich ließen und eine Wüste betraten. Der Sand knirschte jedes Mal leise, wenn die Hufe der Pferde ein ums andere mal kleine Kuhlen in jenen gruben, und störte die ansonsten vollkommene Stille. Die Luft war so schwer und warm, dass sie wie ein Stein auf den Reisenden lag, und durch keine kleinste Brise gestört wurde.
Sandreel konnte nur noch stoßartig atmen, ihr Mund war durch die allzu große Hitze ausgetrocknet und der Schweiß rann ihr in Strömen über das Gesicht. Nachdem sie einige Zeit über ihr Schicksal gejammert und lauthals gebrüllt und geschrieen hatte, hatte sie von ihrer Entführerin einen Schweigezauber verpasst bekommen. Stumm und still lag sie jetzt dort, beobachtete die am Himmel vorbeiziehenden Wolken, und dachte über ihre Zukunft nach.
Was wollen die nur von mir? Immer wieder geisterte ihr diese Frage durch den Kopf, und nachdem sie nun wusste, wer sie erwartete, fielen ihre Überlegungen immer schlimmer aus. Warum … sie? Ich dachte, sie wäre schon lange tot. NEIN! Stumm schrie sie wieder, wollte weg, doch kein Laut entkam ihrem Mund. Nur das Knirschen des Sandes war zu vernehmen. Immer und immer wieder, in einem nie endenden Rhythmus …

Die Sonne war schon lange untergegangenen, doch sie ritten noch immer. Unruhig wälzte sich Sandreel auf ihrem Pferd hin und her. Wasser … ich brauche Wasser! Doch ihr Ruf verhallte ungehört in der Nacht. Um sich von dem brennenden Durst abzulenken, lauschte sie auf das Geräusch des Sandes, aber – plötzlich war es völlig still. Sie bewegten sich nicht mehr und Sandreel konnte wahrnehmen, wie ihre Gefährtin abstieg und sich ihr zuwandte. Eindringlich blitzen deren Augen auf, als sich ihre Blicke kreuzten, und sie einen kleinen Spruch murmelte. Sandreel fühlte, wie sich ihre Zunge löste und sofort stieß sie hervor:„Wasser!“
Die Andere lächelte, nahm eine Feldflasche von ihrem Gürtel und hielt sie an Sandreel ausgedörrte Lippen. Hastig trank sie, aus Angst, dass sie die Nacht auch noch weiterreiten würden. Jedoch bekam sie noch während sie trank schon die Fesseln gelöst und die Andere nahm ihr die Flasche ab und half ihr anschließend vom Pferd. Erst jetzt nahm sie die Umgebung richtig war. Eine düstere schwarze Kirche ragte vor ihnen auf, mit bedrohlichen zwei Türmen, die sich von dort ausgesehen im Himmel verloren. Einige Geier kreischten und kamen aus einem Fenster ihm oberen Stockwerk geschossen, als eine dunkle Glocke im rechten der Türme zu schlagen begann. Die Haupttür knarrte, als sie aufschwang und eine hochgewachsene Person in langer schwarzer Kutte, die bei jedem Schritt über den Boden schleifte, kam heran. Ihre Hände waren gefalten und der Blick gesengt, als sie zu den Beiden trat. Sie hob den Kopf ein bisschen und sprach Sandreels Entführerin an:„Sie ist wütend auf dich, Amaja. Du hättest direkt herkommen sollen!“
Zu Sandreels Genugtuung wurde Amaja noch blasser und starrte stier in die Augen der Fremden. „Wie könnt ihr schon hier sein? Ich habe mein möglichstes getan, da werde ich doch den Segen …“ „Schweig jetzt!“, stieß die neu dazugekommene hervor und unterbrach die weinerlichen Ausreden von Amaja. „Ich will deine Lügen nicht hören, Sie wird sich darum kümmern. Geh jetzt beiseite und bereite deine Aufgaben vor!“ Mit einer harschen Stimme, die keine Diskussion duldete, setzte sie ihren Befehl hinzu und die Angesprochene trat einen Schritt nach hinten, verneigte sich leicht und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.
Sandreel zitterte am ganzen Körper. Nein. Sie kann es nicht sein … sie darf es nicht sein! Aber … ihre Stimme … sie ist so gleich …Sie schüttelte sich und wich einen Schritt zurück, wobei sich ihre Füße in den immer noch warmen Wüstensand eingruben. Die Priesterin bemerkte dies und ging auf sie zu. „Du brauchst keine Angst haben … noch nicht!“ Sie lachte laut und durchdringend, sodass Sandreels Knie nachgaben und sie auf den Boden sackte. „Ohh .. geht es da jemandem nicht gut? Steh auf, du dummes Ding! Hörst du nicht? Steh auf!“ Ihr irres Lachen erstarb und ging in einen scharfen Befehlston über, während sie sich nach vorne beugte und Sandreel an den Schultern packte. Knochige Hände gruben sich in ihre Haut und ein matter Ring reflektierte das schwächliche Licht des Mondes. Der weiße Rubin schien regelrecht zu leuchten in der Finsternis.
Die Hände schüttelten sie durch und die helle, grausame Stimme ertönte noch immer. „Beweg dich jetzt nach oben! Wir nehmen hier keine Rücksicht auf dich!“ Durch ihr eigenes Rütteln wurde der Unbekannten die Kapuze vom Gesicht gerissen und lange, braune Haare umrahmten schnell ihr ausgemergeltes Gesicht. Die blauen Augen stachen aus ihren Höhlen hervor und wurden durch tiefe Augenringe ummalt.
Leicht richtete Sandreel sich auf und schaute der Fremden ins Gesicht. Sie ist es … Aber wie kann das sein? Sie wandte sich unter dem festen Griff, wollte entkommen … dem Grauen entfliehen. Hasserfüllt öffnete sie den Mund und spuckte die Worte aus: „Mutter …“

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Kapitel VI - Flucht
„Essen kommt!“ Die Klappe in der Tür knarrte als sie aufgestoßen wurde und eine Holzschale mit Suppe hindurch geschoben wurde. Klappernd stieß sie auf dem Boden auf und ein bisschen von der zähflüssigen Suppe schwappte über den Rand, wurde aber sofort von dem umliegenden Stroh aufgesaugt. „Freu dich! Diesen Fraß musst du nicht mehr lange ertragen.“ Dandruil richtete sich hoffnungsvoll auf und bekam einen glasigen Blick, als er an frische Luft saubere Kleidung und gescheites Essen dachte – und an Sandreel. „Denn …“, gedehnt legte der Wächter eine spannende Pause ein, „morgen wirst du gehenkt!“ Mit einem höhnischen Lachen ging er von dannen, während in der Zelle Dandruil die Schale mit der Suppe frustriert an die Wand schleuderte.

„Passt auf, gleich kommt eine Biegung und danach führt der Gang wieder leicht bergauf!“ Der Lichtschein der Laterne flackerte, als sich Nugua in dem engen Schacht umgedreht hatte. Ihre Augen blitzten in der Dunkelheit, als sie sich wieder zurückdrehte und sich der kleine Trupp weiter nach vorne schob. Gondar seufzte. Dadurch, dass der Gang immer enger geworden war, krochen sie jetzt sehr nah hintereinander durch die schmale Passage. Er seufzte und seine Gedanken schweiften ab. Er war Kandir jetzt so nah wie noch nie zuvor. Er konnte ihn riechen, seinen Puls fühlen, seine Anspannung merken.
Für ihn hätte der Moment bis in die Unendlichkeit dauern können, doch nach kurzer Zeit kam der angekündigte Knick und der Gang wurde wieder breiter. Nugua warf im schalen Schein der Laterne noch einen Blick auf die Karte, bevor sie diese zusammenrollte und in ihren Gürtel steckte. Sie drehte nervös mit einer Hand den Ring an ihrer Hand. Nicht mehr lange, und du bist mein! Nicht mehr lange …

„Aufmachen!“ Luc erschrak, als er durch das laute Pochen an der Tür aufgeschreckt wurde. „Im Namen des Barons Mordrey, öffnet die Tür!“ Hastig sprang er auf, verhedderte sich in der Decke, die auf seinem Schoß gelegen hatte, und öffnete die Tür. „Was kann ich für sie tun?“ Mit zersausten Haaren, schiefer Brille und die Decke an einem Fuß mitschleifend stand er dort und schaute die Soldaten an. „Gegen euch wurde eine Anklage erhoben. Ihr seid bis auf weiteres festgenommen!“ „Aber wieso .. warum …?“ Die Soldaten achteten nicht auf ihn, sondern griffen ihn grob unter den Achseln und zerrten ihn dann weg. Ihr Hauptmann grinste höhnisch und schlug dann die Tür zu, bevor er sich umwand und wegging.

„Ich glaub wir sind da.“ Nugua keuchte, von dem anstrengenden Aufstieg erschöpft und stellte die Laterne ab. „Hier. Behaltet die, ich gehe voraus und gucke wo wir sind. Ich bin gleich zurück!“ Sie musterte die beiden noch mal, bevor sie sich aus dem Loch im Boden herauszog und dann in der nächtlichen Dunkelheit des darüber liegenden Raumes verschwand.
Erschöpft zog Kandir sich an die eine Wand des Tunnels, hockte sich hin und schlang die Arme um die Beine. Nervös begann er hin und her zu wippen. Gondar lehnte sich an die andere und ließ sich dann zu Boden gleiten. Er musterte aus den Augenwinkeln Kandir und wunderte sich, wieso dieser so nervös war. Er wollte hingehen, ihn umarmen, ihn beschützten. Nein! Ich muss mich zurückhalten! Mühsam blieb er sitzen, starrte aber immer wieder unablässig zu Kandir hin.
„Gondar?“ „Ja, ich bin hier Kandir!“ „Ich hab Angst.“ „Hier ist nichts, wovor du Angst haben müsstest“ „Nein, du verstehst nicht. Ich habe Angst vor dem was in Ancaria passiert. Ich habe Angst vor den Herrschern, den Göttern und … vor mir selbst.“ „Ich bin doch da.“ Unmerklich war er neben Kandir gerückt und saß jetzt neben diesem. „Komm her.“ Kandir ließ sich sinken und lag jetzt mit seinem Kopf in Gondars Schoß. „Ich will nicht mehr. Ich will … vergessen.“ Gondar witterte eine Chance und schaute Kandir tief in die Augen. „Und warum bleibst du dann hier? Wir könnten gehen … jederzeit. Uns hält nichts und niemand. Warum tust du dir das an? Warum bleibst du? Warum ….?“ Was mache ich hier eigentlich? Ich sollte aufhören, bevor es zu spät ist. „Ich kann nicht.“ Er schloss die Augen und versuchte zu vergessen. Gondar starrte ihn von oben an und verlor sich fast in den Weiten des Gesichts. Unwillkürlich kraulte er die Haare von Kandir und schloss die Augen.

„Lauf Kandir! Lauf! Lass mich hier, rette dich!“ „Aber Angris …“ „Nein! Renn und erzähl es den anderen! Renn … bevor es zu spät ist!“ Durch einen lauten Schrei wurde Kandir aus seinen Gedanken gerissen. Der plötzliche Lärm schockte ihn für einen kurzen Moment und er wusste nicht wo er war. Irritiert hielt er sich die Ohren zu, um die unsägliche Angst und den Schrecken des Schreis’ auszusperren. „Kandir!“ Gedämpft drang die Stimme zu ihm durch und er merkte, wie er auf einmal auf den Boden glitt. „Kandir!!“ Der Lärm verstärkte sich nur und auch die Schreie hatten nicht nachgelassen. Er wandte sich, um den Stimmen zu entfliehen. Plötzlich hielt er inne, als er einen brennenden Schmerz auf seiner Wange spürte. „Hör jetzt auf und komm!“ Eine Hand zog ihn nach oben und schwankend kam er zum Stehen. Ein Schwert wurde ihm in die Hand gedrückt und er konnte in dem schwummerigen Licht der Laterne Gondar erkennen. „Gondar? Was ist passiert?“ „Ich weiß es nicht! Doch wir sollten uns beeilen … sonst werden wir es nie erfahren.“

Mit der einen Hand hielt Kandir das Schwert, mit der anderen zog er sich mühsam aus dem Tunnel nach oben. Er stöhnte, als ihn das Gewicht des Schwertes wieder nach unten zu ziehen schien, konnte sich dann doch noch halten und rollte sich geschickt über den Rand des Loches in den Raum ab. Verdammt! Innerlich schalte er sich für seine Dummheit, da er sich den Kopf gestoßen hatte, als er sich in der engen Kammer aufrichtete. Er ignorierte den Schmerz und eilte Gondar hinterher, der bereits mit gezücktem Schwert den engen Raum verlassen hatte.
Oh bei allen Göttern! Was ist da bloß passiert? Gondar merkte, wie der Schweiß über sein Gesicht rann, hielt jedoch weiter mit beiden Händen das Schwert vor seinen Körper und stürmte den dunklen Gang entlang. Die Laterne hatte er in der Kammer gelassen, denn sie würde ihn bloß beim Kämpfen blockieren, wie er sich dachte. Irritier hielt er inne, als er hinter sich keine Schritte mehr hörte. Was ist bloß mit Kandir los? Er benimmt sich so komisch. Er verharrte einen Moment, doch als er wieder das rhythmische Stampfen von Kandirs Schuhen vernahm, eilte er weiter.

Unruhig lief Dandruil in seiner Zelle auf und ab und lauschte hin und wieder den lauten Schreien, die ihn seit kurzer Zeit bis ins Mark erschüttern ließen. Als er ein Pochen an der der Tür der Nachbarzelle vernahm, witterte er eine Chance, endlich das Gefängnis verlassen zu können. Blitzschnell warf er sich flach auf den Boden und häufte das dreckige und miefige Stroh über sich zusammen. „Noch da, Dunkelelf?!“ Mit demselben spöttischen Ton wie immer kam der Wächter zuletzt auch an seine Zelle und schob den Riegel vor dem Fenster beiseite, um ihn die Zelle gucken zu können. „Hmm…“ So sehr er sich auch anstrengte, er konnte niemanden entdecken. „Verdammt!“, entfuhr es ihm. Hastig knallte er den Riegel wieder vor die Luke und öffnete die Tür ganz. Fahrig ließ er seinen Blick über alles gleiten, konnte jedoch Dandruil immer noch nicht entdecken. Er drehte sich rasch um, und wollte die Zelle gerade verlassen, als ihn ein heftiger Schmerz am Hinterkopf zusammenbrechen ließ. Blauer Rauch stieg von dem am Boden Liegenden auf, als Dandruil über ihn hinweg aus der Zelle stieg. „Jetzt spielen wir nach meinen Regeln!“

„Wo bringt ihr mich eigentlich hin? Und was wirft man mir vor?“ Luc wehrte sich heftig, als man ihn die Treppenstufen vor dem Gefängnis hoch schleifte. „Still jetzt!“ Der grimmige Anführer schlug ihn mit seinem eisernen Handschuh ins Gesicht und wandte sich danach einem anderen Wachmann zu. Was ist hier bloß los? Und woher kommen diese Schreie? „Bleib stehen!“ Ein Wachmann rammte ihn den Arm in den Bauch, als er gerade durch eine Tür in den nächsten Raum gehen wollte. Er schaute die Wachleute an und sah, wie diese zusehends nervös wurden. Anscheinend hatten sie keine Ahnung woher die Schreie kamen und was hier überhaupt los war. Der Anführer beugte sich zu seinem Leutnant herunter und flüsterte ihm was ins Ohr. Dieser nickte einmal, zog sein Schwert und winkte seine Männer heran.

„Oh Mist! Wo ist hier bloß der Ausgang?!“ Dandruil irrte von Gang zu Gang. Immer neue Schreie nach Hilfe und Mitleid ereilten ihn. Nein! Er wollte vergessen, nichts mehr hören. Er ließ sich auf dem Gang auf den Boden gleiten und drückte sich die Hände auf die Ohren. Er hatte kein Gefühl mehr im Kopf, er fühlte sich so seltsam leer und unbedeutend an.
Er wusste nicht mehr, wie lange er noch auf diesem Flur gesessen hatte. Er wusste nicht mehr, woher er kam und wieso er hier war. Er wusste nur, was er wollte. Er raffte sich auf und ging immer den Schreien nach. Irgendwie komme ich schon hier raus. Und dann bin ich fast schon bei dir!

Gondar drehte sich nicht mehr um. Die Schreie ließen ihn willenlos machen. Er spürte nichts mehr und lief einfach. Einfach laufen. Nach einiger Zeit hörte er endgültig keine Geräusche mehr hinter sich. Er wollte umdrehen, nach Kandir suchen. Doch – irgendetwas hinderte ihn, ließ ihn blind werden. Er musste dieses Schreien beenden. Es ging ihm durch Mark und Bein. Machte ihn willenlos. Nur noch ein Ziel: Es muss aufhören!
Er rannte jetzt durch verwinkelte Gänge und kreuzte niedrige Stollen, aus denen ihm pechschwarze Finsternis entgegen linste. Alle paar Ellen war eine Kerze auf einem Metallbrett in der Wand befestigt und erleuchtete die Umgebung nur unzureichend. Er stolperte durch das schwummrige Licht und stieß gegen eine Tür. Hier muss es sein. Die Schreie kamen jetzt öfter, schneller, härter. Die Angst in ihr hatte sich noch gesteigert. Mach, dass es aufhört! Er stieß die Tür auf.

Ein Blitzen zog Lucs Aufmerksamkeit auf sich. Nachdem die Wachen sich beraten hatten, brachten sie ihn zuerst in diesen Raum, banden ihn an dem Stuhl fest und eilten danach in verschiedene Richtungen davon. Die Schreie dröhnten noch immer in seinen Ohren, doch er hatte sie mit Wachs verstopft und er nahm den Schmerz und die Angst nicht mehr war. Er guckte genauer hin und entdeckte eine Klinge auf dem Boden, in der sich das fasrige Licht der Ölfunzel gebrochen hatte. Er musste sie einfach erreichen. Er war es den Anderen schuldig – und sich selbst. Das Werk muss vollendet werden! Er rieb noch einmal über seinen Ring und warf dann den Stuhl auf die Seite, um sich robbend im Raum fortzubewegen. Nach einiger Anstrengung erreichte er die Messerscheide und konnte sie mit einer Hand fassen. Nervös rieb er sie immer wieder an den Hanfseilen, bis er merkte, wie diese langsam aber sicher ausfaserten. Er hackte schließlich nur noch blindlings auf die Fesseln ein, bis ein Ruck durch diese ging und ihn freigab. Er richtete sich auf, kratzte den Dreck von seinen Schultern und steckte die Klinge ein. Zeit, diese Schreie zu beenden.

Kandir irrte durch die dunklen Gänge. Nachdem er erst eine ganze Weile lang Gondar hinterher geeilt war, hatte er diesen schließlich im dämmrigen Licht aus den Augen verloren und versuchte nun selber einen Weg durch dieses Gefängnis zu finden. Er schloss seine Hände und hielt eine paar Augenblicke inne. Ein heller Lichtscheine umtänzelte ihn, erst wenig, dann mehr, und schließlich war seine näher Umgebung zwei-drei Schritte weit taghell erleuchtet. Durch die Helligkeit bestärkt eilte er weiter, immer den Schreien nach, deren schreckliche Ursache er noch nicht ahnte.
Das erinnert mich an damals. Es darf nicht sein. Es darf nicht …wieder sein. Wir dürfen nicht versagen. Um keinen Preis! Er beschleunigte seine Schritte und stieß fast mit der dunklen Ebenholztür zusammen. Er legte die Hand auf den Knauf und eine warme, dunkle Kraft durchströmte ihn. Hier hinter liegt unsre Zukunft. Eine Welt ohne sie kann nicht existieren. Er dachte an Angris. Schloss die Augen. Ein Herzschlag, noch einer und noch einer. Riss die Tür auf.

Der Gedanke an Sandreel machte Dandruil benebelt, ließ ihn nicht mehr klar denken. Er wog das Schwert in seiner Hand ab, was er einem vergilbten Skelett in einem der schier unendlichen Stollen entnommen hatte. Er würde kämpfen. Es lohnte sich nicht immer zu kämpfen. Doch jetzt lohnte es sich.
Der Abstand der Lampen zueinander wurde geringer und die allgemeine Helligkeit nahm zu. Mit tränenden Augen, die noch nicht wieder an das gleißende Licht gewohnt waren stolperte er voran, bis er durch eine Türöffnung in eine gewaltige Halle stieß. Die Schreie hatten bis hier stetig zugenommen und schienen hier ihren grausamen Höhepunkt erreicht zu haben. Er trat hinaus aus dem Dunkel, bereit zu kämpfen.

„Kandir? Gondar? Was macht ihr denn hier?“ Verdutzt blieb Dandruil nach einigen Schritten in der Halle stehen. Er konnte eine Decke nach oben nicht abschätzen, doch es sah so aus, als würde der Dom von einer runden Glaskuppel abgerundet werden. Vier schwarze, blank polierte Granitsäulen ragten nach oben hervor und verloren sich in der Unendlichkeit. Dort, auf der anderen Seite öffneten sich zum selben Zeitpunkt, indem er durch den Halbbogen trat, zwei Türen und Kandir und Gondar stürmten mit gezückten Waffen nahezu zeitgleich in den Raum. In allen bot sich dasselbe, schreckliche Szenario dar.
In der Mitte der Halle, umrahmt von den vie Säulen stand ein Gruppe Sakkarapriester, die eine Person umschloss. Wirres Geschrei ging von diesen aus, die in wilde Kämpfe miteinander zu verstrickt zu sein schienen. Wachen eilten aus allen Richtungen herbei und versuchten die Priester zu töten, doch es war ein einziges Chaos, aus Angst, Verwirrung und Hilflosigkeit.
„Yeaaaah!“ Dandruil rannte mit erhobener Waffen nach vorne und rammte einem Priester von hinten ein Schwert in den Rücken. Schwarzes Blut floss von der Klinge ab, als er sie herauszog und sich nur Bruchteil später in einem Gefecht mit einem der Wachmänner wieder fand. Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie sich auch die Anderen mutig in den Kämpf stürzten, um die Unbekannte, die sie anscheinend kannten, tatkräftig zu unterstützten. Dandruil machte einen Ausfallschritt nach rechts und ließ aus seinem Handgelenk einen Sprengsatz, der mit einem lauten Knall explodierte, fallen. Der Wachmann guckte verdutzt drein, konnte aber trotz der Ablenkung den Schlag auf sein Genick noch abfangen. Nach einigen heißen Kampfsequenzen drängte Dandruil schließlich immer mehr auf den Wachmann ein, und konnte ihn schließlich im Herzen treffen. Die Klinge knirschte, als sie den Harnisch durchdrang. „Touché!“ Flüsterte er leise und wand sich wieder dem Hauptkampfgeschehen zu.
Er konnte gar nicht so schnell gucken, so folgten die Schläge der Anderen. Einer ums Andere. Die meisten Priester lagen bereits am Boden, und auch die Zahl der Wachmänner verringerte sich zusehends. Doch …
„Dandruil!“ Er wandte den Kopf nach dem Schrei, um zu sehen was denn war. Doch zu spät. Der Giftpfeil flitze in geradem Bogen auf ihn zu und es blieb keine Zeit mehr zum Ausweichen. Er schloss die Augen. Es hatte nicht sein sollen. Aber … kann es das schon gewesen sein? Er wartete auf den Schmerz, doch es geschah nichts. Leere. Und – Stille. Die Schreie waren verschwunden, nichts rührte sich mehr. Auf einmal hört er ein lautes Kracksen vor sich und spürte, wie feuchte Brocken auf seiner Haut landeten.
Er öffnete die Augen. Fleichfetzten bedeckten ihn über und über. Aber er war nirgendwo verletzt. Was … dachte er, bis seine Augen den Körper der Unbekannten vor ihm streiften. Ein grüner Giftpfeil steckt in ihm. Im Kopf der Unbekannten.
Die Stille griff um sich, schnürte Dandruil den Atem zu und er begann schwer zu röcheln. Warum hat sie sich für mich …? Er starrte verwundert einher. Sah, wie Gondar Kandir auf die Schulter klopfte, der den abgetrennten Kopf aufhob und noch einmal die roten Haare streichelte. Sie kamen auf ihn zu. Gingen an ihm vorbei. Sie schauten ihn nicht an, aber er wusste er würde noch Erklärungen bekommen. Langsam ließ er noch einmal den Blick über die Szenerie gleiten. Sah die Toten – und den Schmerz in ihrem Ausdruck. Er wandte sich um und folgte den Anderen in die Finsternis.

„Sie sind entkommen! Er lebt, Meister, er lebt, er lebt noch immer …“, der Priester brach zusammen, nachdem er seine letzten Worte übermittelte. Der Gestank des Todes sank herab und die vollendete Stille wurde durch nichts gestört. Kein Lebewesen weilte mehr hier.
Nur eine schwarze Krähe flog in die Nacht davon, in ihren Krallen ein weißen Rubin.

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Kapitel V - Der Auftrag
Der Mond leuchtete durch das milchige Fenster und ließ etwas Licht in den Raum gelangen. Auf dem alten Schreibtisch aus gebeizter Eiche stapelten sich Pergamentrolle und andere Blätter und wurden nur durch den schwachen Schein einer Ölfunzel erhellt. Das Feuer des Kamins verströmte zugleich eine wohlige Wärme als auch einen intensiven Geruch nach Kiefer im Raum, während das Holz laut knackend verbrannte. Ein flackernder, sich immer wandelnde Lichtschein ging von dem Feuer ab und erhellte die zwei hohen Lehnstühle, die dort standen. Ein Rascheln ertönte, als Luc eine Pergamentrolle zusammenschlug.
„Wo kann das nur sein?“ Erschöpft nahm er die Brille ab und rieb sich die Augen. „Wo kann das nur sein?“ Verzweifelt setze er sich die kleine gebogene Nickelbrille wieder auf die pummelige Nase und nahm sich die nächste Pergamentrolle zur Brust.
Unruhig wälzte sich Kandir oben auf der Matte auf dem Boden im Schlaf. Seine Lieder flatterten und Falten bildeten sich auf seiner Stirn als hätte er einen besonders schlimmen Alptraum. Ein Schweißtropfen floss ihm über die Stirn und er begann leise vor sich hinzumurmeln, während er sich von einer auf die andere Seite warf. „NEIN! Angris! …. nein ….“ Als die letzten Worte über seine Lippen kamen, riss er schlagartig die Augen auf. Sein Puls beruhigte sich langsam wieder, während er sich mühsam aufrichtete und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Ärgerlich wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht und flocht sich wieder seinen Zopf. Langsam ging er danach auf die Bodenklappe zu und machte sich an den Abstieg.

Wo mag er jetzt wohl sein? Gondar lag auf dem Stein und starrte in die Lichtreflexe, die der Mond auf der Wasseroberfläche erzeugte. Ich sollte mir nicht so viele Sorgen um ihn machen. Er wird schon gut zurecht-kommen. Verzweifelt hatte er bereits seit einiger Zeit versucht zu schlafen, hatte jedoch im Traum immer wieder nur gesehen wie Kandir hilflos gefoltert oder getötet wurde und war nach einigen Schreckenssekunden schweißgebadet aufgewacht. Ach … die Liebe… Ich muss mich zusammenreißen! Es gibt wichtigeres im Leben! Mürrisch ließ er sich wieder sinken und versuchte zum wiederholten Male einzuschlafen.

„Ah, Kandir! Der Schlaf hat wohl doch nicht solange gehalten.“ „Woher wusstest du, dass ich komme?“ Erstaunt ging der Seraphim die letzten paar Schritte an den Zwerg heran, bevor dieser sich endlich zu ihm umdrehte. „Zwergenintuition.“ Er tippte sich auf die Nase und wandte sich wieder seinen Rollen zu. „Und außerdem – so laut wie du gekommen bist, hätte dich jeder gehört.“ Mit einem neckischen Unterton in der Stimme setzte er noch eine Bemerkung dazu und schob zugleich die nächste Rolle beiseite. „Was suchst du?“ Müde fuhr Kandir sich durchs Haar und zog einen der Stühle vom Feuer heran. „Einen Plan vom Gefängnis in Reckenheim. Ich bin sicher, dass er hier irgendwo sein muss.“ „Wie sieht deine Idee aus?“ „Ich weiß, dass er irgendwo einen geheimen Zugang gibt. Man landet dann in einem der Lagerräume und muss nur noch einen Wachposten erledigen.“ „Das erinnert mich an damals … wo man auch nur einen Wachposten erledigen musste.“ Luc setzte die Brille wieder ab und schaute Kandir lange in die Augen, bevor er antwortete. „Kandir. Es war nicht deine Schuld!“ „Aber ich fühle mich so!“ Verzweifelt legte Kandir den Kopf auf seine Hände und seufzte leise. Luc klopfte ihn auf den Rücken und suchte weiter nach seiner Schriftrolle.
„Wir waren damals sehr überrascht, dass du den Auftrag bekommen hast.“ Luc sprach erst nach einiger Zeit wieder, während Kandir sich wieder beruhigt hatte. „Ich und die Anderen, wir wussten nicht, ob wir dich hindern oder die helfen sollten. Aber … Angris war damals sehr von die überzeugt, und so wurdest du aufgenommen. Ich weiß noch wie ich diesen Ring in mühsamer Arbeit hergestellt habe. Es war mein letzter vor diesem schrecklichen Krieg. Seitdem habe ich nicht mehr eine Unze Gold oder Silber gesehen.“ Luc hob seine linke Hand und betrachtete seinen Ring. Ein goldener Ring mit einem weißen Rubin, der von matt grün schimmernden Streifen durchsetzt war. Er strich sanft über die polierte Oberfläche, bevor er weitersprach. „Und dann kam diese schreckliche Nacht. Vilya hatte uns zu sich gerufen. Es sollte der entscheidende Schlag werden. Der wurde es dann auch!“ Mit einem leichten Anflug von Selbstironie hatte er zuletzt geredet und schwieg jetzt. Kandir hatte seinen Kopf auf den Tisch und darüber die Arme gelegt, so dass es aussah, als ob er nichts hören wollte. Nichts von dieser grausamen Wahrheit, die seine eigene war. „Ich konnte nichts machen! Wir waren dort in dieser Grotte. Wir waren uns nicht sicher, aber mein Gefühl hatte mich bis jetzt noch nie betrogen! Und es ging doch um ihn – den Auserwählten. Nachdem ich ihn dort verlor, musste ich Jahre damit zubringen, um ihn wieder zu finden.“ Grausame Bilder von Zerstörung und schreienden Menschen zogen an seinem inneren Antlitz vorbei. „Es ging alles so schnell! Auf einmal waren sie da und alle schrieen. Keiner rührte sich mehr und Angris und sie starrten sich an. Dann sagte er nur:„Er gehört uns!“ Er ging auf ihn zu und wollte ihn schon nehmen – sie hatten sich nicht gerührt – als einer ihn plötzlich angriff. Ich hatte keine Zeit mehr!“ Kandir war den Tränen nahe und versuchte zu vergessen – die Bilder vor seinen Augen – die Schmerzen, die wieder hochkamen – die Verzweiflung und das Gefühl versagt zu haben. „Wir wissen, dass es für dich von uns allen am schlimmsten war. Aber trotzdem … dein Auftrag war nie, irgendwen zu retten. Alle anderen waren egal, solange du ihn hattest. Warum?“ Kandir sank im Stuhl zurück und schloss die Augen. Er hatte gewusst, dass dieser Moment irgendwann kommen würde, doch er war nicht so weit … noch nicht bereit zum Selbstbekenntnis. Er schämte sich für sich selbst. „Es war … es ist anders als ihr alle denkt. Ich war … bin nicht das was ich sein will … oder soll. Ich bin …“ „Ich hab’s!“ Triumphierend zog Luc eine Rolle nach vorne, auf der man mit geübtem Auge ein paar Kaffeeflecken erkennen konnte. Auf einmal schien er völlig desinteressiert an Kandir und hatte nur noch Augen für die leere Karte. Kandir seufzte unglücklich und hievte sich aus dem Lehnstuhl hoch, um an den nahen Kamin zu gehen, damit er sich seine kühlen Hände wärmen konnte.

Als die Sonne bereits ihre ersten Strahlen vorsichtig in das Haus von Luc warf, kam dieser durch die Tür herein, gefolgt von einer schmächtigen Person in brauner Kutte, die fast wie ein Wanderpriester wirkte. Kandir schnarchte auf seinem Stuhl. Während Luc seinen Plan geschmiedet hatte, war er erst eine Zeit nervös im Zimmer rumgetigert, hatte sich dann hingesetzt und zugeschaut und war schlussendlich wieder eingeschlafen. Sein Kopf lag auf der Tischplatte, die Arme hingen schlaff herunter und die hellen Haare waren über das Gesicht gefallen.
„Kandir!“ Luc kam näher heran und zog dabei mit einer Hand die andere Person hinter sich her. „Kandir, wach endlich auf du Schlafmütze!“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schlug er Kandir auf den Hinterkopf, während er sich zugleich zu der Unbekannten umwandte. „Ich glaube Nugua, dass du hier drin deine Kapuze ablegen kannst.“ „Besser Vor- als Nachsicht!“ Mit einem Schmunzeln im Gesicht schlug sie die Kapuze zurück und schüttelte in einer seitlichen Drehung den Kopf, sodass ihre langen roten Haare durch die Luft sausten. „Das solltest du doch eigentlich am besten wissen!“ Sie grinste ihn keck an und begann mit ihrer einen Hand die zersausten Haare zu richten, während sie mit der anderen einen goldenen Ring an ihrer Hose polierte. Nachdem sie die Hand nach einem kurzen Augenblick wieder hochnahm, funkelte der weiße Rubin mit roten Streifen erstaunlich hell und klar. Luc stellte eine Kanne mit heißem Wasser auf den Ofen und suchte jetzt nach einigen Kräutern, während Kandir ausgiebig gähnte und aufstand. „Nugua“, tonlos drangen die Worte aus seinem Mund, als er diese entdeckte.
„Hallo, Kandir!“ Während Luc mittlerweile im Nebenraum nach den Kräutern in staubigen Kisten kramte, ging Nugua auf Kandir zu, der verzweifelt nach hinten auswich. „Findest du es hier nicht auch – “, mit einem gekonnten Zug riss sie die Kutte nach unten, „ – heiß?“ Kandir tastete mit den Händen nach hinten und erfühlte ein Bücherregal. „Nicht so direkt jetzt, nein, eher nicht.“ Er versuchte zur Seite auszuweichen, doch urplötzlich lehnte sie am Regal und schaute ihn kokett an. „Dann kannst du mich ja kühlen.“ Sie streckte ihre Hand aus und strich damit um Kandirs Gesicht. „Ihr glaubt ja nicht, wo ich den noch gefunden …“ Luc stand mit einem Kräuterbündel in der Hand in der Tür und starrte zuerst die Kutte auf dem Boden an, und dann Kandir und Nugua an der Wand. Belustigt verkniff er sich ein Lachen und ging zum Kamin. Dankbar faltete Kandir die Hände und sandte ein kurzes Stoßgebet gen Zimmerdecke. Nugua hingegen starrte Luc zornig an, um dann die Kutte vom dem Boden aufzuheben.
Kurze Zeit später saßen sie alle zusammen an dem großen Schreibtisch und Luc erläuterte ihnen beiden seinen Plan. Nugua warf ihm noch ab und zu einen grimmigen Blick zu, hört aber ansonsten gespannt zu. „Wenn man über die Brücke bei Reckenheim geht und dann links entlang des Flusses wandert, kommt man relativ schnell zu einem kleinen Wäldchen. Dort gibt es einen versteckten Stollen, der einen direkt ins Gefängnis führt. In diesem kommt der Stollen in irgendeiner kleinen, kaum genutzten Abstellkammer hoch. Von da aus müsst ihr dann nur noch erkunden, in welcher Zelle Dandruil gefangen gehalten wird.“ „Was heißt hier ihr? Kommst du nicht mit?“ Nervös trommelte Kandir mit den Fingern auf den Tisch bei dem Gedanken allein mit Nugua in einem engen Stollen zu sein. „Ja, werdet ihr.“ Luc massierte sich mit einer Hand seine Schulter, bevor er weiterredete. „Ich glaube, ich bin langsam zu alt für so etwas.“ „Aber … nein! Das geht doch nicht! Ich werde nicht …“ „Still jetzt, Kandir! Du wirst. So – und jetzt macht euch fertig. Ihr solltet gleich ein bisschen schlafen, damit ihr heute Nacht richtig wach seid!“

„Oh, Kandir! Hoffentlich geht es dir gut, mein Schatz!“ Verzweifelt tigerte Gondar auf dem Felsen herum. Der Mond war bereits aufgegangen und erleuchtete den dahin schießenden Fluss und das sandige Ufer. „Kandir…“ Verträumt malte Gondar den Namen in den Sand, bevor er ihn hastig wieder verwischte. „Alles Unsinn!“ Er versuchte sich zu konzentrieren und legte sich auf den Felsen, als er plötzlich ein lautes Knacken hörte. Sofort legte er sich flach auf den Bauch und robbte in Nähe der Bäume vor, um nicht so schnell gesehen zu werden.
„Gondar! Gondar, wo bist du denn bloß?“, zischte auf einmal ein Stimme aus den Büschen. „Hier“ gab Gondar zurück und urplötzlich stand Kandir vor ihm. „Wo warst du sola…?“, begann er zu reden und sprang auf, als er die zweite Person hinter Kandir wahrnahm. „Wer ist das?“, fragte er skeptisch und wünschte sich, er wäre alleine mit ihm. „Eine Freundin. Sie heißt Nugua.“ „Mehr als nur eine Freundin.“ Sie schlang ihre Arme von hinten um Kandir und dieser versuchte sich der Annäherung zu erwehren. Gondar traten die Tränen in die Augen, als er das sah, doch er ließ sich nichts anmerken. „Wo ist Dandruil?“ „Wir brechen gerade auf, um ihn zu retten. Deswegen kommen wir hier vorbei, damit du uns helfen kannst.“ Mit einem flehenden Blick schaute er Gondar in die Augen, der zu tief verriet, dass dies eine eher abgewandelte Wahrheit war, und der wirkliche Plan anders ausgesehen hatte. Gondar spielte einen Moment mit der Macht der Entscheidung nickte dann aber nur und schloss sich den Beiden an.

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Kapitel IV - Reckenheim
„Das ist nicht gut!“ Verstört wandte Dandruil sich ab und schaute zurück gen Silberbach über die unberührten Felder und Waldstücke. Kandir schwieg und sah ihn still von der Seite an, als wollte er versuchen seine Gedanken zu lesen. Gondar hingegen ging unruhig auf und ab, während er leise vor sich hin murmelte. „Wir sollten woanders herreisen! Ich weiß nicht wie gut und sicher wir uns tarnen können!“ „Aber wo sollen wir denn her? Gen Osten erstreckt sich bis zum Fluss Anraìr die Baronie de Mordrey, zu der auch Reckenheim gehört. Und gen Westen ist Porto Vallum. Ihr wollt mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass ihr vorhabt in ein stark umkämpftes Kriegsgebiet zu reisen!?!“
Betretenes Schweigen folgte, nachdem Dandruil seine Zweifel ausgesprochen hatte. Kandir und Gondar schauten sich tief in die Augen, bevor dieser sich abwandte und auf einen Stein im seichten Wasser setzte. „Es bleibt keine andere Möglichkeit. Wir müssen es versuchen! Wenn wir entlang des Waldes nordöstlich von Porto Vallum reisen, gelangen wir irgendwann zu einer Stelle, an der wir …“ „ Ich höre immer nur wir!“ Missmutig starrte Gondar ins Wasser, bevor er wütend einen flachen Stein über die Oberfläche titschen ließ. „Warum reist du überhaupt mit uns? Du könntest doch hier einfach nach Reckenheim gehen und von da dann weiter in dein Kloster! Was … für einen Grund hast du?“ Gondar schaute auf und blickte Kandir jetzt genau an. Dieser wich dem bohrenden Blick aus und schien zu überlegen was er sagen sollte. „Ich … habe meine Gründe, warum ich lieber in einer Gruppe reise. Auch für einen Seraphim wie mich ist es gefährlich alleine durch Ancaria zu reisen. Die Zeiten haben sich geändert!“ „Und warum? Ihr reichen Schnösel habt doch immer noch genug Gold in eurer Kasse! Ihr könntet euch doch locker eine Eskorte leisten!“ „Das hat etwas mit Spiritualität zu tun. Krieger stören bloß mein Karma. Du übrigens auch, du Gewaltmaschine!“ „Aber selber morden, wo man steht und geht!“ Höhnisch verspottete Gondar die Prinzipien des Seraphim. Er drehte sich auf seinem Stein um und schaute wieder auf den Fluss, wie dieser unter der Brücke durchfloss. „Ja, es ist schon erstaunlich …“ Mit einem lauten Platschen fiel er ins Wasser, als Kandir von hinten auf ihn sprang.
„Nimm dies du Ratte!“ Wütend schlug er auf Gondar ein, der unter Wasser mühsam nach Luft rang. „Gondar! Kandir! Seid ihr jetzt völlig bekloppt geworden?!“ Zornig stand Dandruil am Ufer, wurde von den zweien jedoch gar nicht beachtet. „Da bist du sprachlos, was?“ Kandir saß auf Gondars Rücken und hielt diesen unter Wasser. Luftblasen stiegen auf, als Gondar etwas erwidern wollte. Mit einem heftigem Ruck gelang es ihm jedoch Kandir runterzuschmeißen und sich so zu befreien. Nun schlugen sie sich im Wasser und versuchten einer über den anderen die Kontrolle zu gewinnen.
Dandruil konnte vom Ufer aus nicht allzu viel erkenne, aber es sah so aus, als ob Gondar jetzt doch noch die Oberhand gewinnen würde. Er zog Kandir an dessen langen Haaren, worauf dieser schmerzerfüllt aufschrie. „Lasst das doch jetzt mal endlich und kommt lieber wieder her!“ Mühsam versuchte Dandruil immer noch gegen das Rauschen des Wassers anzuschreien. „Die Strömung treibt euch ab!“ Keiner der Beiden schien zu registrieren, was Dandruil sagte. Und tatsächlich – dieser konnte ganz genau beobachten, wie die beiden weggeschwemmt wurden und mittlerweile beinahe unter der Brücke waren. „Ach, macht doch was ihr wollt!“ Resignierend warf Dandruil die Arme nach oben, drehte sich um und ging ein Stück weg vom Ufer.

„Es reicht jetzt!“ Erschöpft riss Kandir die Arme nach oben und stieß sich mit den Beinen von Gondar ab, sodass er ein Stück durchs Wasser paddelte. „Memme“ Verächtlich zischte Gondar, machte aber keine Andeutungen, die Rangelei fortzusetzen. Mittlerweile waren sie durch die Strömung bereits ein ganzes Stück weit hinter der Brücke und schwammen nun langsam ans Ufer, wo sie sich erschöpft über die breiten Steine auf den trockenen Untergrund zogen und röchelnd in der Sonne lagen. Die warmen Strahlen prickelten auf ihren Körpern und Gondar zog sein triefendes Wams aus, welches sich mit Wasser voll gesogen hatte. Kandir hatte sein Hemd bereits im Fluss verloren und drehte sich nun auf den Rücken, um von beiden Seiten trocken zu werden. Müde gähnte er, legte den Kopf auf die Arme und schloss die Augen. Nach ein paar Minuten schlummerte er bereits. Gondar seufzte und starrte, auf seine Arme gestützt, in die Sonne. „Wir sollten zu Dandruil zurückkehren. Er wird sich Sorgen machen. Und außerdem – er hat sich bestimmt wieder in Schwierigkeiten gebracht.“ Er musste schmunzeln, als er sich den hilflosen Dandruil vorstellte. Er wandte sich zur Seite und starrte Kandir an. „Kandir? Schläfst du?“ Als keine Antwort kam, schaute Gondar sich misstrauisch um. Als er niemanden sehen konnte – Dandruil sah sie nicht, da der Fluss nach der Brücke eine kleine Biegung machte und hinter einem Buchenhain verschwand – beugte er sich zu Kandir herunter. Er fuhr mit seinem Gesicht über dessen Nacken, dessen Haare, nahm seinen Geruch war. Berührte mit seinen Lippen dessen entblößten Rücken und ließ das Gefühl der prickelnden Berührung tief in sich einziehen. Er holte seine Hände nach oben und legte sie sanft um Kandirs Hals. Er spürte, wie sein Puls raste, als er die Haut berührte, und verstärkte den Druck seiner Hände. Kandir wälzte sich unruhig im Schlaf und Gondar zog ruckartig seine Hände zurück. Ich kann nicht. Er roch noch einmal an den wohlriechenden Haaren, berührte ihn zärtlich im Nacken, fuhr mit seinen Fingern über die ausgeprägte Wirbelsäule und zog sich dann wieder zurück.

„Mit mir kann man’s ja machen“ Grummelnd packte Dandruil seinen Rucksack aus und suchte nach den fast leeren Wasserflaschen. „Wo bleiben die denn schon wieder? Bestimmt ham’ sie sich gegenseitig umgebracht!“ Mürrisch stand er auf und ging zum Fluss, um die Flaschen nachzufüllen. Er hockte sich auf die Uferwiese und hielt die Feldflaschen unter Wasser, damit diese sich füllten. Die Sonne stand hoch und so konnte er seinen Schatten in der blitzenden Oberfläche beobachten. Ich bin älter geworden! Entsetzt bemerkte er diese Erkenntnis. Auf einmal erstarrte er zu Tode und drehte sich um, die Wasserflasche fallend lassen.
„Hallo, Dunkelelf!“

Ich muss meinen Auftrag erfüllen. Nicht mehr viel Zeit … nicht mehr viel Zeit! Sie wird böse sein … sehr böse. Bald wird eine gute Gelegenheit kommen, um sie endgültig zu beseitigen. Dann ist die Zeit reif. Das Matriarch wird wieder auf erstehen!

Nachdenklich legte sich Gondar wieder auf den Rücken und schielte aus den Augenwinkeln verstohlen auf Kandirs gut gebauten Körper. Er wusste, diese Gedanken durften nicht sein, doch – er konnte sie einfach nicht unterdrücken. Er versuchte sich abzulenken, an der Sonne zu erfreuen, aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem Seraphim neben ihm zurück – wie gerne wäre er jetzt über dessen Körper gefahren.
Ich muss mich zügeln. Es wird nicht … es darf nicht sein. Das ist eine der größten Perversionen überhaupt. Er schüttelte und schämte sich selbst für seine eigenen Gefühle. Und außerdem mag er mich doch sowieso nicht. „Du hast ihn ja nicht einmal gefragt“ Die stichelnde Stimme seines Gewissens war wieder in seinem Kopf und versuchte ihn zur „Vernunft“ zu bringen. Er würde mich hassen und meiden! Da genieße ich lieber Augenblicke wie diese, als auf immer von ihm getrennt zu sein. Und außerdem – er ist doch eine Art Mönch, da darf er ja sowieso keine Verbindung eingehen. Mühsam versuchte sich Gondar davon abzuhalten, Kandir einfach anzusprechen, sich ihm zu öffnen. Er erstarrte und wandte sich um, als er Pferdegetrappel auf der nahen Brücke hörte. Hektisch löste er sich aus seiner Spannung und legte sich flach auf den Stein, um nicht von den Reitern entdeckt zu werden.
Ein Krieger galoppierte auf einem schwarzen Rappen vorbei, gefolgt von mehren Fußkriegern, deren Rüstung beim Vorwärtsgehen laut rasselten. Ihm stockte der Atem, als er sah, wie zwei von ihnen grob einen Gefangenen vor sich her schubsten. Seine Hände waren durch eine Holzplatte gesteckt, die zwei Löcher besaß. Auf der anderen Seite waren die Hände mit einem Hanfstrick zusammengebunden, um eine Flucht zu verhindern. Seine Beine waren mit einer schweren Eisenkette gefesselt, an deren Ende eine Kugel ein schnelles Weiterkommen behinderte. „Dandruil“ Gondar hauchte den Namen und biss sich sogleich auf die Zunge, um ja keine weiteren Laut nach außen dringen zu lassen. Doch da war der Zug auch schon wieder vorbei, beendet durch einen weiteren Reiter, der eine Standarte mit dem Wappen de Mordreys trug.
„Kandir. Kandir wach auf!“ Gondar beugte sich zu diesem nach unten und hauchte ihm ins Ohr. Wieder nahm er diesen intensiven Geruch wahr und konnte kaum widerstehen, ihn zu berühren. „Was ist denn los?“ Erstaunlich wach regte sich Kandir und erhob sich aus seiner liegenden Position. Er lag jetzt auf der Seite und schaute Gondar erwartungsvoll an. Mit seinen Händen spielte er lässig mit der Kette, die er trug. Sie bestand aus engen Holzringen, die auf eine Lederschnur aufgeseilt waren. „Dandruil ist entführt worden!“ Geschockt stütze sich Kandir auf seine Arme und sprang auf. „Und das sagst du mir erst jetzt?? Typisch … lässt mal wieder alles daneben gehen!“ Die Gefühle für Kandir, die Gondar noch eben durchflutet hatten, waren wieder verschwunden und eine tiefe Leere breitete sich in ihm aus. „Ich hab’s auch gerade erst gesehen! Wir sollten uns beeilen, um zu sehen wo sie ihn hinbringen.“ „Na, wo sollen sie ihn hier schon großartig hinbringen? Nach Reckenheim natürlich! Denkst du etwa, die schleppen den hier durch halb Ancaria?!?“ „Und wohin genau?? Kennst du dich hier etwa aus, in diesem gottverlassenen Provinzkaff?“ „Nein,“ musste Kandir gestehen, „aber im Gegensatz zu dir kann ich mich unauffällig unters Volk mischen und sein Gefängnis feststellen, um ihn dann gemeinsam mit dir zu befreien.“ Wütend musste sich Gondar eingestehen, dass dies der einzig vernünftige Plan war. Sie durften nicht riskieren, durch ihn aufzufliegen und so eventuell auch eingesperrt zu werden. Aber es missfiel ihm der Gefallen, von Kandir bemuttert zu werden. Er wollte ihm seine Stärke demonstrieren. „Also bist du einverstanden oder was? Dann lass uns jetzt den Abend abwarten, damit ich mich unauffällig unter die Menge mischen kann!“ Schweigend ließ Gondar sich wieder zurück auf den Stein sinken und schloss die Augen

„Gondar, wach auf!“ Die Sonne war bereits untergegangen und die Temperatur war merklich gesunken. Kandir hatte sich bereits Gondars Wams übergezogen – sein eigenes Hemd hatte er ja verloren – und versuchte nun diesen zu wecken, um mit ihm noch einmal den Plan durchzusprechen.
„Gondar!“ Verschlafen rieb dieser sich die Augen und blinzelte Kandir an, der sich über ihn gebeugt hatte. „Jaja, ich bin ja schon wach!“ „Gut. Jetzt hör zu: Ich schleiche mich gleich ins Dorf und versuche heraus zu finden, wo Dandruil gefangen gehalten wird. Und vielleicht kann ich ja auch noch ein Hemd für dich auftreiben. Wenn ich wieder zurückkehre, überlegen wir uns, wie wir ihn befreien können.“ Kandir schaute Gondar noch einmal tief in die Augen, bevor er sich erhob und in den nahen Büschen verschwand, um unbemerkt im Ort auftauchen zu können. „Viel Glück … und pass auf dich auf!“ Gondar hauchte ihm diese Worte noch hinterher, bevor er sich auf die Zunge biss. Leise seufzte er. Die Situation war zum Verzweifeln.

Die Fackeln vor den Häusern leuchteten Kandir den Weg, sodass er zügig durch die Büsche voran kam. Ein paar mal stolperte er in der Dunkelheit fast über eine Wurzel, konnte sich jedoch immer noch fangen. Schließlich trat er neben einer Hütte aus dem Wald, nachdem er sicher war, dass ihn niemand beobachtete, und mischte sich unauffällig unter die Leute.
„Was fällt diesem Pack eigentlich ein, bei uns hier die Gegend unsicher zu machen!“ „Dreckspack! Die werden auch noch irgendwann alle brennen.“ „Auf den Scheiterhaufen mit ihm! Auf den Scheiterhaufen …“ Unruhig lauschte Kandir den Stimmen, während er sich einen Weg durch die Menge bahnte. „Darf ich mal? Danke.“ Er schob ein paar Leute zur Seite, bevor er vor dem gesuchten Haus stand. Es war einstöckig und besaß ein rietgedecktes Dach, aus dem der letzte Sturm ein paar Zweige nach oben gerissen hatte, die jetzt widerspenstig in den Himmel standen. In die Tür war eine viereckige Glasscheibe eingelassen, die durch ein Kreuz aus Eisenstäben geschützt wurde.
Zweimal klopfte er an die Tür, bevor er wieder einen Schritt zurück trat. „Wer ist da?“ „Ein Freund, der alten Zeiten willen.“ „Begehrt er Einlass?“ „Nein, die Freundschaft ist’s, die er begehrt.“ „Kandir!“ Freudig wurde die Tür aufgerissen und ein kleiner Gnom sprang Kandir an, um ihn zu umarmen. „Ich dachte schon, ich sehe dich nie mehr wieder!“ „Sachte, sachte!“ Kandir klopfte dem Zwerg auf den Rücken und ließ ihn dann zu Boden. „Was treibt dich denn schon wieder in unsere Landen?“ Die Miene des Zwerges verdüsterte sich, als er Kandirs besorgtes Gesicht sah. „Kann ich reinkommen?“
Drinnen saßen die beiden in zwei bequemen Lehnstühlen und genossen die behagliche Wärme des Feuers. Kandir rekelte sich einmal, bevor er anfing zu reden. „Also, du weißt doch dass ich einen Auftrag bekam, Luc? (Für alle Interessierten: Das hier soll nicht die englische, sondern die französische Schreibweise sein. Luc wird also Lüc gesprochen) Ich glaube … ich habe ihn erfüllt!“ Fassungslos ließ Luc die Teetasse, die er hielt, sinken. „Nein … Es ist doch nicht etwa der, den sie heute …“ „Doch. Genau der ist es.“ Fassungslos starrte Luc ihn an, bevor sein Erstaunen in Wut umschlug. „Du hattest ihn in deiner Obhut und lässt ihn in Gefangenschaft geraten?!“ Beschwichtigend hob Kandir die Arme. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr hier im Moment so eine Volkshetze veranstaltet! Warum überhaupt? Ist irgendetwas passiert? Oh, bei den Göttern, wenn man auf Reise ist, kriegt man so wenig mit!“ „Du weißt noch nichts davon? Die Dunkelelfen … sie haben sich doch vor langer Zeit in die Berge von Zhurag Nar zurückgezogen und es ziehen nur noch wenige von ihnen umher. Doch in letzter Zeit kam es zu Überfällen. Man sagt sich, Torfingen sei zerstört worden!“ „Aber was bedeutet das? Was planen sie?“ „Ich habe versucht mich mit anderen auszutauschen, aber keiner weiß was passiert ist. Einige sagen, das Matrichat würde zu alter Stärke zurückgelangen! Als ob wir nicht genug Probleme hätten!“ Er raufte sich die wenigen Haare und nahm einen Schluck von dem brennend heißen Ingwertee. „Die Orks stürmen im Süden gegen unsere Truppen an. Seit Monaten gelang keine Nachricht von Alkazaba noc Draco mehr zu uns durch. Die Sakkarapriesterinnen zermürben die Bevölkerung und jetzt auch noch Dunkelelfen!“ Kandir schwieg, bevor er wieder redete: „Welche Ironie des Schicksals. Wir müssen uns beeilen, es bleibt nicht mehr viel Zeit. Nur …. ich weiß noch nicht welche Rolle ich in diesem Drama spiele … und welche Gondar.“ „Gondar?“ Luc horchte auf und hob gespannt den Kopf. „Ein Dunkelelf. Ich weiß nicht, was er für Motive hat. Er behauptet zwar er wäre Händler, doch ich denke, da steckt mehr dahinter.“ „Nimm dich in Acht! Er könnte ein Verräter sein.“ „Ja, wer weiß das schon.“ Müde löste Kandir seinen Zopf und fuhr sich durchs Haar. „Geh jetzt erst einmal schlafen. Wir werden morgen weiterreden!“ Dankbar stand Kandir auf und ging die geschwungene Treppe hinauf.

„Schlaf schön, du dreckige Ratte!“ Grob wurde Dandruil in ein Kellerloch geschubst und die schwere Eisentür hinter ihm ins Schloss geworfen. Angewidert wandte er sich um und stieg über Essensreste hinweg. Er suchte sich eine freie Stelle und warf auf sie das wenige Stroh, das er entdeckte. Erschöpft ließ er sich zu Boden sinken.

Hütten brannten und verwundete Menschen schrieen angsterfüllt am Boden. „Bald …. oh bald ist die Zeit reif für uns! Keiner kann uns stoppen!“ Irres Geschrei ertönte über die Ebene nahe Torfingen und ließ die Leute zusammenzucken.

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Kapitel III - Vorrausahnungen
Lautes Pferdegewieher ertönte und Sandreel schreckte aus ihrem tiefen Schlaf auf. Ihre Augenlieder flatterten, als sie diese zaghaft öffnete. Ein eisiger Windhauch schlug ihr entgegen und ließ sie frösteln. Wo bin ich? Verschlafen versuchte sie sich zu drehen, doch sie merkte, dass sie irgendwo festgebunden war. „Wo bin ich?“ Verzweifelt kämpfte Sandreel gegen das Pfeifen des Windes an. Sofort hörte die regelmäßige Bewegung auf und erst jetzt merkte sie, dass sie auf einem Pferderücken lag. Das Sonnenlicht, was in ihre Augen gelangt war, verschwand, als sich eine Person über sie beugte. Sie spürte Kälte und ein leichtes Ziehen, als sich eine Hand auf ihre Stirn legte. „Wer sind sie? Und … wo bin ich?“ Verzweifelt kämpfte Sandreel gegen die Müdigkeit an. Der Druck auf ihre Stirn verstärkte sich und sie konnte die Augen nicht mehr offen halten. Ihre Körperanspannung ließ nach und sie verfiel in einen unruhigen Schlaf. Die Person, die sich über sie gebeugt hatte, starrte noch einen Augenblick in ihr Gesicht, bevor sie sich schließlich abwand. Nach kurzer Zeit setzten die unregelmäßigen Bewegungen wieder ein.

„Mama, schau mal was für eine schöne Blume ich gefunden habe!“ „Sandreel, wir haben keine Zeit. Wir müssen los. Jetzt komm doch und lass diese Blume!“ „Nein, Mami, du hast sie dir nicht mal angeguckt.“ „Versteh doch! Es droht Gefahr. Komm jetzt!“ Grob wurde sie am Handgelenk gefasst. „Nein, lass mich.“ Sie wandte sich unter dem Druck, der sich jedoch nur verstärkte. „Bitte, komm jetzt! Wir haben keine Zeit mehr!“ „Aber guck doch …“ Das Zelt in dem sie sich befand stürzte ein und sie wurde durch einen umstürzenden Balken von ihrer Mutter getrennt. „Mami!“ Ängstlich schlug sie um sich, Tränen rannen über ihre Wangen. „Mami …“
„Hallo Kleines! Komm gib mir schon einen Kuss!“ Angewidert stand sie gebückt in einem engen Käfig. „Na los, nicht so schüchtern!“ Der Mann griff ihr grob an den Hintern, als sie sich immer noch weigerte. Sie hatte nur noch Fetzten an, die nicht einmal komplett ihre Scham verdeckten. „Dann muss ich halt näher kommen!“ Der Mann rasselt mit einem Schlüssel und öffnete die Tür. Langsam ging er hinein und kam ihr immer näher …
„Sandreel, pass auf dich auf!“ „Warte! Warum kann ich nicht mit dir kommen?“ Der umgestürzte Wagen lag am Boden und die Leichen blickten sie vorwurfsvoll an. „Das verstehst du nicht.“ „Nein! Lass mich nicht allein …“ Mit Tränen im Gesicht blickte sie ihrer Freundin hinterher …
„Sie ist noch sehr jung.“ „Wie ist sie bloß dahin gekommen?“ „Armes Ding …Wer weiß, was man ihr angetan hat!“ „Seht doch! Sie wacht auf!“ Müde blickte Sandreel in die Augen von vielen Leuten. „Komm mit Kleines. Du musst erstmal etwas essen und trinken! Robert, würdest du bitte eben?“ Sie merkte wie sie hochgehoben wurde und in eine Hütte gebracht wurde. Erschöpft schloss sie die Augen …
„Lass mich in Ruhe, Robert! Ich will nichts von dir! Verschwinde endlich!“ „Aber ich will etwas von dir! Nicht so schüchtern!“ In die Ecke gedrängt riss Sandreel den Dolch, den ihr Gertrud zum Schutz gegeben hatte, aus dem Schaft und hielt ihn abwehrend hoch. „Komm ja nicht näher!“ „Lass doch die Spielchen und leg das Messer weg…“ Vom plötzlichen Schmerz getroffen verstummte er. Er blickte ihr erst fragend in die Augen und dann nach unten. Das Messer steckte genau in seinem Herzen. „Dann brenn doch, du Hexe!“ Anklagend spie Robert diese letzten Worte aus. Mit wehendem Haar war Sandreel jedoch schon längst in der Nacht verschwunden …
„Hexe, Hexe! Verbrennt sie diese Hexe!“ In die Flammen mit ihr!“ „Sie ist schuld an unserem Unglück!“ „Mit dem Teufel im Bund!“ „Elende Hexe …“
…„Du wirst mir noch viel Geld auf dem Sklavenmarkt bringen, Kleine!“…
…„Sandreel, pass auf dich auf! Ich muss weg! Du verstehst nicht.“…
…„Jetzt komm doch und lass diese Blume!“…
…„Du bist schuld an unserem Unglück!“…
…„Verschwinde endlich!“…
…„Ich liebe dich nicht!“…

Schweiß gebadet wachte Sandreel auf. Die Vergangenheit war wie ein böser Traum an ihr vorbeigezogen und sie wollte nur noch vergessen. Still lag sie auf dem Pferd und versuchte mühsam, die Augen offen zuhalten. Am Himmel leuchteten bereits die ersten Sterne und der Mond hing dort, friedlich leuchtend, als verstünde er nicht ihre Probleme.
„Ich werde gleich mit ihr weiterziehen, aber ich möchte einmal noch …“ „Schweig und sei dankbar, dass wir dir diese Aufgabe anvertraut haben! Ich werde der Hohen Priesterin melden, dass du dich widersetzt hast!“ „Ach sei doch nicht so … eine kurzer Berührung. Ach bitte!“ „Na gut, aber beeil dich! Ich pass solange auf … deine Freundin auf!“ Sandreel hörte noch lautes Lachen, als sie hörte, wie sich Schritte entfernten. Komisch … irgendwoher kannte ich diese Stimme, aber mir fällt nicht ein woher! Noch einige Zeit lag sie dort still auf dem Pferd und rührte sich nicht, aus Angst, dass man sie sonst wieder betäuben könnte. Sie war sich jetzt fast sicher, dass dies vor ihrem Schlaf geschehen war. Obwohl sie noch einige Zeit vor sich hin grübelte, fiel ihr der Name partout nicht ein. Schließlich wurde sie vom Schlaf übermannt und ließ sich wieder zurücksinken.

„Dandruil!“ Sofort stürzten Gondar und Kandir nach vorne. Dandruil lag dort einige Manneslängen vor ihnen auf der Straße und um ihn hatte sich bereits eine kleine Blutlache gebildet. Da der Weg an dieser Stelle leicht bergab führte geriet Gondar ins Stolpern und hielt sich an Kandir fest, der jedoch auch gerade noch Halt suchte. Gemeinsam wurden sie zu Boden gerissen und rollten in einer Kugel zu Dandruil. „Kannst du nicht einmal aufpassen?!? Selbst wenn es um Leben und Tod geht, bist du zu nichts zu gebrauchen!“ „Ach ja, aber du, du doller Seraphim! Geh erstma runter von mir! Du konntest dich doch selbst nicht festhalten!“ „Du riskierst ne dicke Lippe, Kleiner! Gib mal besser Acht auf dein schönes Gesicht, wenn du morgen aufwachst könnte es anders aussehen!“ „Leute könntet ihr vielleicht mal kurz …“ Mühsam versuchte sich der am Boden liegende Dandruil Gehör zu verschaffen wurde jedoch sofort unterbrochen. „Schnauze!“ Eintönig kam die Antwort von den beiden Kontrahenten. „Immerhin sehe ich schön aus, im Gegensatz zu dir … du Hässlichkeit von Ancaria!“ „Nimm das zurück, du Ratte, sonst …“ „Sonst was?!“ „Sonst das!“ Mit voller Kraft schlug Kandir Gondar ins Gesicht, sodass man die Nase Knacken hören konnte. „Ich fühle wie ich sterbe ….“ Verzweifelt versuchte Dandruil immer noch auf sich aufmerksam zu machen, während sich seine Gefährten mittlerweile auf dem Boden prügelten. „Hilfe!“ „Dandruil …“ Die Raufenden ließen sofort von einander ab und wandten sich dem Verletzten zu. „Was ist passiert …?“ Erschöpft kamen sie bei ihm zum Stehen und brachen sofort in Erstaunen aus, als sie ihn näher betrachteten. „Aber …. du bist ja gar nicht verletzt! Und woher kommt dann das Blut?“ Kopfschüttelnd setzten sich die beiden neben Dandruil, der immer noch auf dem Boden lag. „Von ihm hier …“, flüsterte er und öffnete seine beiden Hände. Darin lag das kleine Rotkehlchen. Die Pfeilspitze steckte noch in seinem Körper, der Ast war abgebrochen, und seine schillernden Federn waren mit Blut getränkt. Es stieß noch einmal einen letzten hohen Ton aus und blickte sie aufmunternd aus seinen kleinen schwarzen Knopfaugen an, als wollte er sie dazu ermutigen nicht aufzugeben. „Aber wie …?“ Erstaunt schüttelte Gondar den Kopf und wand sich ab. „Er flog gerade vor mir her, als der Pfeil auf mich zu flog. An meiner statt ist er jetzt gestorben!“ Alle drei verstummten einen Moment. Grabesstille senkte sich über den Ort und nur der leise Wind, der über die flache Steppe blies, gab eine gruselige Musik dar.

Der Schnee stob zur Seite, als die Pferde durch kleinere Schneewehen durchbrachen, man konnte jedoch immer noch das typische Klackern vernehmen, wenn Pferdehufe auf Pflastersteine auftreffen. Faulige Bäume, deren Äste schwer mit Schnee behangen waren, standen rechts und links von der Straße, und ein schief in den Boden gerammter Wegweiser zeigte nach Norden. Die Farbe, wenn dies je welche gewesen war, war abgeblättert und die schwarze Schrift verschmiert. Ein dicker Eiszapfen hing an der unteren Kante des Schildes und in ihm spiegelten sich sanfte Lichtbrechungen der Sonne. Wohin reisen wir? … und wieso? Und … Ein Schmerz in ihrer Brust lies Sandreel innerlich verstummen. Behutsam befreite sie ihre Hand aus den Seilen und strich sich sanft über den Bauch. Sie spürte wie sich auf der anderen Seite der Haut etwas regte. Sie hielt einen Moment die Luft an und schloss die Augen. Sie seufzte. In ihren Tagträumen lag sie in den Armen ihres Mannes und alles war wie immer.
„Bleib stehn!“ Harsch fuhr die Priesterin das Pferd an. „Warum …?“, begann Sandreel zu reden doch es verschlug ihr den Atem, als sie das Gebäude vor sich erblickte…

„Ich will eure Trauer ja nicht stören, aber wir sollten uns beeilen und von hier verschwinden!“ Gondar, der sich von den beiden anderen entfernt hatte kam wieder zurück, mit einem Ast in den Händen. „Und wieso? Selbst so ein kleines Lebewesen verdient eine angemessene Trauer. Aber ein solcher Schlächter wie du hat davon natürlich keine Ahnung!“ Gondar zog eine Grimasse, die Dandruil nicht sehen konnte, ging aber weiter nicht auf die Anspielung ein. „Sakkara.“, sagte er tonlos. Zur Unterstrechung seiner Worte hielt er den Ast hoch, der, wie Dandruil jetzt erst erkannte, zu dem Pfeil gehört hatte. An seinem Ende war eine schwarze Feder befestigt. „Dann lasst uns weiterziehen. Wir können heute noch Reckenheim erreichen.“ Mit belegter Stimme hatte Dandruil den Anstoß gegeben. Er grub noch mit einer Hand schnell eine kleine Grube und legte seinen Retter hinein. Ein letztes Mal guckte er in die aufmunternden Augen und verschloss das Grab dann schnell mit einem kleinen Findling. „Kommst du?“ Kandir und Gondar standen bereits und schauten gen Norden. Die Sonne ging gerade wieder auf und die beiden erwärmten sich an den ersten Sonnenstrahlen, die wohlig auf der Haut prickelten. Seufzend stemmte Dandruil sich hoch und schloss zu den beiden auf, die bereits einige Fuß voraus waren.
Den ganzen Tag über marschierten sie stramm und kamen gut voran. Die einzigen Lebewesen, die ihnen begegneten, waren eine Rotte Rehe, die still ihren Weg kreuzten. Als sie sie erblickten, verschwanden sie sofort wieder in den Büschen, aus denen sie erst kurz zuvor herausgetreten waren. Sie unterhielten sich wenig und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Wo bist du Sandreel? Ach, könnt ich doch nur bei dir sein! Er seufzte tief. „Bleib stehn, Dandruil!“ So plötzlich aus seinen Gedanken gerissen blickte er nach vorn und das Blut gefror im in den Adern. Auch der eh schon blasse Kandir hatte seine letzte Farbe verloren und starrte ungläubig nach vorne. Gondar war jedoch äußerst gefasst. „Reckenheim…“
Wenige Fuß vor ihnen schlängelte sich ein sanfter Fluss durch die üppigen Weiden, auf denen wohlig duftende rötliche Blumen wuchsen. Vereinzelten guckten Steine aus dem Gewässer und unterbrachen den dahin preschenden Strom des Wassers. Eine Brücke, die aus dicken Eichenbalken gebaut und anscheinend mit Hanfseilen befestigt worden war, führte über den Bach und kurz hinter der Überquerung passierte die Straße einen Turm, der ein wenig schief stand und eine kreisrundes Metalldach besaß. Auf der anderen Seite der Straße war ein großes Schild auf dem in geschwungenen Worten „Reckenheim“ stand. Doch für all das hatten die drei Gefährten keine Beachtung. Sie sahen nur den Turm. Aus der der oberen Fensterluke ragte ein Holzpfahl, an dem ein Seil baumelte. Schwarze Krähen hackten auf die blanken Knochen eines Gehenkten ein, der dort im Wind baumelte. An seine Füße war ein schwarzes Brett gebunden auf dem in roter Schrift stand: „Meuchelnde Dunkelelfen, bleibt wo ihr seid! Hier erwartet euch nur der Tod!“

Mühsam versuchte Sandreel ihre Gedanken zu koordinieren. „Shaddar-Nur…“, flüsterte sie schließlich …

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Kapitel II - Kandir
Die Sonne war bereits untergegangen und es legte sich allmählich eine nächtliche Kälte über alles. Es war zwar noch Herbst, doch der Winter hatte bereits seine eisigen Klauen nach Ancaria ausgestreckt. Die Bäume verloren bereits ihre ersten Blätter und wer gute Augen hatte konnte bei Tageslicht eifrige Eichhörnchen sehen, die hektisch Nüsse in der Erde vergruben. Voll und rund hing der Mond am Himmel und schickte sein schwaches weißes Licht auf die Erde, welches die nahe Umgebung geradezu mystisch erscheinen ließ.
„Lass uns hier unser Nachtlager aufschlagen! Es ist schon dunkel und bald können wir nicht einmal mehr den Weg erkennen!“ „Warte. Bis Reckendorf kann es nicht mehr weit sein.“ „Ok. Aber wenn nicht hinter der nächsten Biegung der Ortseingang auftaucht, machen wir an Ort und Stelle Rast!“ „Meinetwegen.“ Dandruil war erschöpft und müde. Dieser Marsch war anstrengender, als er gedacht hätte. Beiläufig schielte er zu Gondar. Insgeheim beneidete er diesen, weil er immer noch keine Schwächeerscheinungen zeigte. Er muss wirklich viel in Ancaria herumreisen. Er verkniff sich ein Gähnen und schaute nach dem kleine Rotkehlchen, welches sich auf seinen Rucksack gesetzt hatte und das Gefieder geplustert hatte, um sich warum zu halten. Aus kleinen schwarzen Augen guckte es ihn neugierig an und schien sagen zu wollen: „Lass dich nicht entmutigen. Es ist nicht mehr weit. Und außerdem – du weißt doch wieso du das tust!“ Verschmitzt musste Dandruil grinsen.
Plötzlich rammte ihm Gondar seinen Arm in den Bauch. „Warte! Da drüben brennt Licht!“ Verschlafen antwortete Dandruil: „Na toll! Dann haben wir Reckenheim ja heute doch noch erreicht!“ Er wollte Gondars Arm zur Seite schieben, doch dieser verstärkte nur seinen Druck. „Du verstehst nicht. Für ein Dorf sind das zu wenig Lichter! Ich weiß nicht wer oder was da ist. Am besten trennen wir uns und schleichen getrennt an das Licht heran. Ich gehe nach rechts und du nach links.“ „Gut. Als Erkennungszeichen nehmen wir … einen Eulenruf.“

Behutsam setzte Dandruil einen Fuß nach dem anderen auf und tastete vor dem Aufsetzten danach ob er auf einem weichen Moospolster landen würde, welches beim auftreten kein Geräusch verursachte. Er schaute nach Gondar, konnte diesen jedoch in der Dunkelheit nicht mehr erkennen. „Salve te, helios. Salve te, luminus. Salve te, …“ Vorsichtig schob er einen Zweig zur Seite, um erkennen zu können, woher das Licht kam. Auf einer kleinen Lichtung war ein quadratisches Wasserbecken eingelassen im dem auf einer kleinen Granitsäule eine Götterstatue stand. In der einen Hand hielt sie einen riesigen Stab, der die Göttin fast überragte, die andere hielt sie ausgestreckt nach vorne, als wollte sie auf ein Ziel in der Ferne zeigen. Dandruils Blick folgte dem ausgestreckten Arm, doch er konnte nichts Besonderes entdecken. Um das Bassin, in dem in grünen Wasser weiße Seerosen erblühten und sich ein paar goldene Fische tummelten, waren drei Steinbänke aufgestellt, die jeweils eine tiefe und zerfurchte Sitzmulde zeigten, als ob sie schon Jahrtausende dort ständen. An der vierten Seite, dort wohin die Göttin schaute und an welcher keine Sitzbank stand, kniete eine verhüllte Person. Dandruil ging leise aus den Baumreihen heraus und betrat die Lichtung. Der Boden war, soweit er es in der Dunkelheit erkennen konnte, von abertausenden von Blumen bedeckt, die einen angenehmen Duft verströmten, den er jedoch nicht einordnen konnte, obwohl er sich sicher war, diesen zu kennen. „ …, florae. Salve te, arbores. Salve te, deí!“ Zum Ende hin hatte sich der mystische Gesang des Verschleierten noch gesteigerte und er hatte, einem inneren Rhythmus folgend, die Arme wie in einem Gebet gehoben und gesenkt. Beim letzten Wort hatte er den Kopf auf den Boden gesenkt und die Arme weit nach vorne ausgestreckt. Da seine weiße Kutte jedoch nicht lang genug war, rutschte sie etwas zurück und man konnte im Mondlicht seine braunen Hände erkennen. Sie waren ohne jeden Kratzer und an dem Ringfinger der linken Hand saß ein prächtiger goldener Ring der mit einem weißen von blauen Streifen durchsetzten Rubin versehen war. In den Ring schien etwas eingraviert zu sein, jedoch konnte Dandruil aufgrund der Entfernung nicht genau erkennen, was dort stand. Dies ist bestimmt kein Mann der Arbeit. Da hat ja selbst ein Schreiberling mehr Furchen in den Händen. Und der Ring ist bestimmt auch von höchstem Wert.
„Welcher Unwürdige stört das heilige Ritual?“ So plötzlich aus seinen Gedanken gerissen erschrak Dandruil. War er etwa gemeint? Er guckte sich erstaunt um. Von Gondar keine Spur – weiß der Teufel wo der wieder steckt – und der Verschleierte hatte sich nicht eine Fingerspitze bewegt. Die Luft anhaltend versuchte Dandruil sich langsam von der Lichtung zurückzuziehen, denn das Geschehen war ihm nicht ganz geheuer. „Bleib stehen! Flucht nützt dir nichts! Bevor du die Mýshrr Gwadear verlassen hättest wärst du bereits tot.“ Wie erstarrt blieb Dandruil stehen. Was sollte das? Wer ist das überhaupt? Er beschloss nicht weiter so zu tun, als ob er nicht da wäre. „Und wer wagt es einem großen Krieger zu befehlen?“ „Großer Krieger? Vielleicht ein großer Krieger des Wortes, aber bestimmt nicht der Waffe. Ein solcher wäre sicherlich nicht einfach so in ein unbekanntes Terrain eingedrungen ohne vorher die Lage zu sichern!“ Dandruil schwieg. Der Fremde hatte ihn durchschaut. Jetzt war guter Rat teuer. Er konnte sich zu erkennen geben und so denn Tod riskieren oder die Situation ausschweigen und auf Gondars Hilfe hoffen. Er schwieg. Die Zeit verging und ein geduldsamer Beobachter konnte den Mond über den sonst schwarzen Himmel wandern sehen. Ein Fisch sprang mutig aus dem Wasser und schnappte nach einer der Mücken, die in großen Schwärmen in der Luft standen. Als er zurück ins Becken fiel platschte eine kleine Fontäne in die Luft. Sie war pechschwarz.
Dandruil runzelte leicht die Stirn. „Sakkara …“ flüsterte er, doch da trat bereits eine der gefürchteten Priesterinnen aus den Bäumen. Der Betende schien nichts zu bemerken, er ließ zumindest keine Gefühlsregung nach außen dringen. „Pass auf dich auf! Da ist eine Sakkarapriesterin!“ Während er noch die Warnung für den anderen aussprach, stolperte er bereits rückwärts in den Wald zurück um an die nahe Straße zu gelangen. Doch plötzlich schossen blau-lila Fesseln aus dem Boden und hielten ihn fest. Er zerrte an seinen Händen und Beinen, konnte sich jedoch nicht bewegen. Sicher, er hätte sich mit einem Kampfsprung, den selbst der schwächste Dunkelelf noch schaffte, retten können, doch die nahen Bäume behinderten ihn und er konnte sich nicht rühren. Er versuchte einen Eulenruf über die Lippen zu bringen, doch sein Mund war wie ausgetrocknet und so entfuhr ihm kein Laut.
Mit einer kreiselnden Bewegung zog die Priesterin eine blitzende Sichel aus dem Ärmel ihrer schwarzen, langen Kutte. Mit der anderen Hand vollführte sie einen Schlenker in der Luft und beschwor so einen Meteoritenhagel herauf. Mit einer unglaublichen Wärmewallung schossen die Gesteinsbrocken nieder. Der Betende verharrte noch immer in seiner Position, bis die Geschosse auf eine Manneslänge nah gekommen waren. Ruckartig stemmte er seinen Oberkörper nach oben und faltete seine Hände in der Luft, um sie sofort auseinander zu reißen. Fingerlängen vor ihm drehten die Meteoriten ab und krachten in die nahe liegenden Bäume, die schwarz verkohl in sich zusammen stürzten. Er jedoch murmelte ein paar leise Worte, Beschwörungen wie Dandruil vermutete, und auf einmal schossen Blitze aus dem Himmel und trafen die Sakkarpriesterin, die unter qualvollen Gestöhn zusammenbrach.
„Sie haben also doch Gefühle …“ „Nein, haben sie nicht. Das Geschrei dient nur um andere Priesterinnen anzulocken. Aber komm jetzt. Gleich tauchen sicher noch welche auf!“ Dandruil hatte kaum bemerkt, wie der Verhüllte so schnell neben hatte gelangen können. Sonderbar. Aber wo bleibt Gondar? Ihm ist doch wohl hoffentlich nichts passiert? „Beeil dich!“ Der Andere riss ihn am Arm mit sich in den Wald und Dandruil bemerkte jetzt erst, dass sich die Fesseln um seine Beine gelöst hatten. Widerwillig flüchtete er mit ihm. „Aber mein Freund …“ Wütend blieb der Andere stehen, drehte sich fahrig zu Dandruil um und fuhr diesen barsch an: „Und wenn er dein Freund war, wo war er dann als du ihn brauchtest?“ Unbeantwortet ließ der Verhüllte in Stehen und ging tiefer in den Wald hinein. Hastig rannte Dandruil ihm hinter her, um sich nicht noch in diesem Gestrüpp zu verlaufen.
Keuchend brachen sie durch den Waldrand und blieben erstaunt stehen, als sie dort Gondar im Kampf mit einem Räuber sahen. Fasziniert blieben sie stehen und sahen zu, wie die beiden in der Schnelle der Bewegung zu einem verflossen. Nur Fingerbreit von einander entfernt schabten die beiden Klingen übereinander und Gondar konnte die tiefschwarzen Augen des Räubers sehen. Mit Schwung drehte er sich einmal und wollte dann den Gauner am Herzen treffen, doch der sah dessen Parade voraus und blockte wieder exzellent ab. Die Schwerter übereinander schabend gingen sie beide im Kreis, bis der Räuber ruckartig nach hinten sprang und mit dem gezückten Schwert seitwärts auf Gondar zu lief. Dieser konnte jedoch nicht sehen, wie der andere mit seinem linken Arm nach einem vergifteten Dolch tastete, den er in seinem Ärmel versteckt hatte. Lässig blockte Gondar den Angriff, merkte jedoch erst zu spät aus den Augenwinkeln, dass das nur eine Finte gewesen war. Er wollte sich durch eine Rückwärtsrolle aus der Reichweite des Dolches bringen, doch der Räuber hatte schon zugestochen und blickte diesen triumphierend an. Röchelnd und in Todeskrämpfe verfallen wand Gondar sich am Boden. „Dandruil …“
Wie aus einer Starre erlöst rannten beide sofort zu dem Gefallen. Schon im Laufen flüsterte der Verhüllte seine Formel und ein Blitz schoss aus dem Himmel. Vom Räuber blieb nur ein Häufchen Asche übrig. Unterdessen war Dandruil bei Gondar angekommen und begann in seinem Rucksack nach einem Gegengift zu suchen. Gefunden! Mit sichtlicher Erleichterung zog er eine bauchige Flasche mit grünem Inhalt aus diesem und beugte sich zu Gondar, der auf dem Boden lag. „Hier, trink!“ Er schob seine Hand unter dessen Kopf, hob diesen an und flößte ihm das Elixier ein. Es gluckerte leise, als die Medizin Gondars Kehle herunterrann. Nach einiger Zeit war die Flasche leer und Dandruil verstaute sie wieder in seinem Rucksack. „Danke. Das war echt knapp. Diese hinterhältige Ratte griff mich an, als ich mich gerade durch die Büsche schlagen wollte. Feiges Pack … aber wer ist eigentlich dieser Kerl da?“ „Das ist mein Retter und …“ „Ich bin Kandir.“ Mit diesen Worten schlug Kandir zum ersten Mal seine Kapuze zurück und man konnte deutlich erkennen, dass er ein Seraphim war. Ein männlicher Seraphim. Seine blonden Haare waren über dem Kopf zu einem Zopf geflochten und gaben den Blick frei auf sein makelloses Gesicht. Die Augen von ihm strahlten blau in die Umgebung und seine Lippen waren leicht geschwungen. „Soso … ein Seraphim. Ihr gebt euch also auch neuerdings mit Anderen ab? Aber da du uns ja jetzt geholfen hast kannst du ja gehen!“ Gondar, ich finde das ist nicht sehr angebracht …“ „Und du nennst dich Freund? Du hättest ihn hier verrecken lassen! Die Dunkelelfen sind doch alle gleich!“ „Sag das noch mal! Da sieht man’s mal wieder: Seraphim sind hinterlistig, durchtrieben und haben Vorurteile!“ „Und Dunkelelfen sind brutal, dumm und starrsinnig!“ „Besser als …“ „Ruhe jetzt!“ Wütend sprang Dandruil zwischen die beiden Streitenden. „Ihr beruhigt euch jetzt erst mal wieder. Und in der Zeit kann uns Kandir ja erzählen wo er herkommt und wo er hin will. Ich bin übrigens Dandruil und das ist Gondar.“ Grimmig starrten sich Gondar und Kandir immer noch an, bis dieser dann anfing zu reden: „Ich komme aus der Klosterfeste am Eisbachpass und überbrachte eine wichtige Nachricht in das Kloster nahe Silberbach. Auf dem Rückweg kam ich hier an diesem Gebetstein vorbei und legte eine kurze Pause ein. Dabei hast du mich ja überrascht.“ „Ist ja interessant! Ich muss auch ins Kloster … da können wir doch zusammen reisen!“ „Natürlich. Und wohin muss dieser … Gewaltklotz?“ „Ganz bestimmt nicht in dieses Kloster zu diesen Etepetete Leuten. Und außerdem geht dich das nen Dreck an, wo ich hin will!“ „War ja klar, dass so nen Hau-druff-Halodrian nichts mit Kunst und Muse anfangen kann.“ „Besser sich wehren können, als nur andere voll zu sabbeln. Und außerdem … ich dachte es gäbe nur weibliche Seraphim?“ Diese Worte drangen wie ein Dolch in Kandir. Dandruil war jedoch schlau genug um dazwischen zu gehen. „Fein. Dann reisen wir jetzt also zusammen. Kommt, dann erreichen wir im Morgengrauen noch Reckenheim!“ Stramm marschierte Dandruil einfach los ohne sich umzusehen. Mit einem lauten Piepsen tauchte das klein Rotkehlchen wieder aus seinem Rucksack auf und flog nun vergnügt um ihn herum.
„Wenn du ihm etwas tust …“ „Dann was?“ Schweigend blickten sich die Beiden lange in die Augen, bevor sie Dandruil nacheilten, der bereits im Nebel zu verschwinden schien.

Noch ein Feind mehr! Das wird ja immer schwieriger! Und ich hab auch nicht mehr so viel Zeit. Eigentlich hätte er das nicht überleb! Wäre nur dieser verdammte Seraphim nicht gewesen! Aber mir kommt da gerade schon eine neue Idee!

Mit einem lauten Zischen brach ein Pfeil aus dem Nebel hervor und traf Dandruil mitten in die Brust, sodass er röchelnd zusammen brach. „Dandruil!“ Ein Aufschrei entfuhr den beiden Gefährten, als sie sahen wie dieser zusammen stürzte und sich Blut auf seiner Kutte bildete. „Nein …“

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Kapitel I - Verschlungene Wege der Zukunft
Leise und behutsam prasselte der Regen auf die Erde und weichte die unbefestigte Straße auf. Langsam aber stetig kroch die Sonne über den Horizont und erhellte die Wiesen und Wälder rings um Silberbach. Blitzend brachen sich die ersten Strahlen in den Fensterscheiben eines kleinen Bauernhauses und wurden von diesem reflektiert, sodass sie in alle Richtungen abstrahlten.
„Sandreel …“ Nervös flattern die Augelieder des bewusstlos am Boden liegenden, als die helle Sonne auf sie traf. Er wälzte sich auf der nassen Straße, bis er urplötzlich die Augen aufriss. „Sandreel!“ Wie von einer Biene gestochen sprang er auf und rannte in die Hütte. „Sandreel! Wo bist du? Antworte …“ Mit einem Schluchzen in der Stimme guckte er sich hektisch um. Sein Blut geriet in Wallung und man konnte deutlich die hervortretenden Adern auf seiner makellosen Stirn erkennen. „Wo bist du?“ Wie ein Berserker rannte er aus der leeren Hütte und schaute fragend in jede Himmelsrichtung. Doch nirgendwo ein Anzeichen von Leben. Einzig die Grashalme bewegten sich von einer leichten Brise getrieben.
„Nein! Das kann nicht sein … Warum??“ Anklagend riss er die Arme in die Höhe und setzte sich taumelnd auf die Türschwelle. Er vergrub den Kopf in den Armen und ein leises Wimmern und Schniefen ertönte, was so gar nicht zu dem geborenen Kämpfer passte. „Nein, nein, NEIN! Das darf nicht sein … das ist alles nicht wahr … !“ Anklagend spie er diese Worte förmlich aus und schlug bei jedem nein den Kopf verzweifelt auf seine Arme.
„Kann ich helfen?“ Ein Mann in einem wallenden Kapuzenumhang, der sein Gesicht in Schatten tauchte, war unbemerkt vor Dandruil getreten und bot diesem nun eine Hand an, um ihn hochzuziehen. Grimmig hob Dandruil den Kopf, seine Züge auf einmal erstarrt, und fixierte den Unbekannten. Er versuchte in dessen Augen zu blicken, konnte jedoch nur schwarze, tiefe Einbuchtungen erkennen. „Ich brauche keine Hilfe.“ Ohne die Hand des Fremden anzunehmen stand er auf und ein leichter rötlicher Schimmer schoss ihm auf die Wangen als er bemerkte, dass er nur mit einem leichten Umhang bekleidet war. „Das sieht aber anders aus.“ „Es mag anders aussehen als es ist. Warum sprecht ihr überhaupt so vertraut mit mir?“ Misstrauisch musterte Dandruil den anderen jetzt genauer und bemerkte trotz des dichten Umhangs, dass der Fremde sehr kräftig sein musste. „Kennen wir uns?“ „Nein,“, der Fremde schob seine Kapuze zurück und zum Vorscheinen kamen gelockte schwarze Haare, die jedoch nicht verbergen konnten, dass die Ohren des Mannes nach oben hin deutlich spitz zuliefen, „ich bin Gondar, Dunkelelf und Händler. Stets zu Diensten.“ Mit einer ausladenden Bewegung verbeugte sich der Händler und bezeugte diesem so seine Ehrerbietung. „Immer zu einem guten Geschäft bereit.“ „Aber was macht ihr außerhalb Zhurag-Nars? Die Dunkelelfen haben sich doch alle dorthin zurückgezogen und alle Eingänge verschlossen, um sich vor den Bedrohungen der Außenwelt schützen zu können!“, mit wachsender Wut spuckte Dandruil die letzten Worte förmlich aus. Er brauchte etwas um seinen gnadelosen Hass abzureagieren. Hass auf die Ungerechtigkeit der Entführung, Hass auf die Dunkelelfen, Hass auf das ewige Verstecken. „Nicht alle. Ich jedenfalls suche noch einen Weggefährten, der mich auf meiner Reise in die Burg Sternental begleitet. Ich habe dort geschäftlich zu tun. Es sieht aus als ob du auch diese eintönige Landschaft leid wärst. Aber … wie heißt du überhaupt?“ Doch Dandruil hatte kaum zugehört. Sein Blick war zu der zersplitterten Fensterscheibe geflogen. Er stutze, als er an einer hervorstehenden Glasscherbe einen schwarz glänzenden Stofffetzen entdeckte. Er kannte diese Art von Stoff. Plötzlich dämmerte es ihm, was heute Nacht vorgefallen war und ein leichter Schauder ließ ihn frösteln. „Geht es dir nicht gut?“ „Doch. Dandruil – ich heiße Dandruil. Du willst in die Burg Sternental? Ich könnte dich bis Burg Hohenmut begleiten. Ich muss in das Kloster der Seraphim.“ Er musste mehr erfahren, seinen Verdacht bestätigen, auch wenn dies sehr grausam und schmerzvoll für ihn werden würde. Als Gondar seinen Namen hörte hob er erstaunt die Augenbrauen und guckte ihn merkwürdig musternd an. Dandruil jedoch verdrängte das schlechte Gefühl sofort. „Nun … gut. Ich möchte zeitig reisen. Sagen wir morgen früh um Sonnenaufgang hier bei deiner Hütte?“ „Gut.“ Während Gondar die Straße zurück ins Dorf ging stand Dandruil noch eine Weile unschlüssig vor dem Haus. Es ist ein schmaler Grad zwischen Richtig und Falsch. Ob das wohl richtig war? Kann ich ihm vertrauen? Grübelnd ging er in seine nun für ihn kühle und bedrohliche Hütte, die ihren früheren Charme verloren hatte.
Sein weniges Gut, was er mitnehmen würde, hatte er schnell in seinen Rucksack gepackt. Sakkara also. Warum nur? Verzweifelt hatte er versucht eine Lösung auf diese Frage zu finden. Nach einiger Grübelei hatte er sich aufgerafft und war ins Dorf gegangen. Er hatte noch etwas zu erledigen bevor er für einige Zeit sein sicheres Nest, das ihm jahrelang Schutz und Hoffnung geben hatte, verlassen würde. Es kam ihm fast so vor, als würde er vor etwas fliehen. Als würde man vor etwas fliehen, von dem man nicht einmal genau weiß, was es überhaupt ist.

„Ismodir, ich werde für längere Zeit verreisen. Könntest du bitte solange auf meine Hütte und mein Vieh aufpassen.“ „Ja natürlich Dandruil. Aber wohin gehst du denn? Und wieso? Und – wo ist überhaupt Sandreel?“ Nervös guckte Dandruil sich um. Jetzt kam es darauf an, dass er dem Richtigen vertraute.
„Ich glaube, sie wurde entführt.“ „Entführ?!“ Ismodir zuckte in der Gasse zusammen und seine wenigen grauen Haare auf dem Kopf schaukelten wild hin und her. „Aber … wer sollte denn so etwas tun?“ „Ich weiß es nicht. Naja – ich habe einen Verdacht…“ Unruhig schaute sich Dandruil um und ein leichtes Schaudern erfüllte ihm bei Sprechen der nächsten Worte. „Ich glaube es waren Sakkarapriester.“ „Sakkaras? Hier bei uns? Die Götter seien mit uns!“ „Ja, ich zweifele auch noch daran. Was sollten sie hier bei uns wollen? Und was wollen sie von Sandreel? Aber … ich habe keine Zeit um mit Soldaten zu reden und Verhandlungen zu leiten. Das würde zu lange dauern. Ich muss jetzt aufbrechen!“ „Hmmm … ich verstehe dich. Aber warum kommst du damit zu mir?“ Ismodir strich sich über den langen grauen Bart und runzelte leicht die Stirn. Er hatte schon einiges in seinem Leben gesehen und in konnte fast nichts mehr schocken. „Ich wollte dich bitten, zu den Soldaten zu gehen und eine Suche einzuleiten. Oder sie wenigstens vor den Sakkaras zu warnen. Ich kann das nicht machen…“ „…, weil das zu lange dauert und die Soldaten nur nervige Fragen stellen würden.“ vollendete Ismodir den Satz. „Ja, ich verstehe dich. Nun gut. Dann geh, aber gib auf dich Acht. Es lauern heutzutage viele Gefahren in Ancaria. Auch manche, von denen wir nichts ahnen …“ „Ich werde schon auf mich aufpassen. Danke für deine Hilfe. Wir werden uns wieder sehen … irgendwann!“
Zum Abschied drückte er den alten Mann noch einmal an sich und ließ ihn dann alleine in der dunklen Gasse stehen, in der sie sich unterhalten hatten. Er war ihm all die Jahre wie ein Vater vorgekommen … wie ein richtiger Vater.
„Ich wusste doch, dass du es kannst.“ Ismodir zitterte am ganzen Körper. Er fühlte wieder die kalte Klinge in seinem Nacken, die leichte rötliche Striemen auf seinem Hals hinterließ. „Du weißt hoffentlich noch, was ich dir gesagt habe! Keine Soldaten, keine Suche. Sonst …“ Spielerisch ließ der Fremde das Messer über die Haut gleiten und ein dünnes Rinnsal floss Ismodirs Rücken herunter. „Jetzt geh. Und hoffe, dass ich dich wieder vergesse!“ Zitternd verschwand der alte Mann über den Marktplatz in seine eigene Hütte, während ihn das Lachen des Maskierten noch bis in seine Träume verfolgte.

Ein lautes Gähnen unterbrach die morgendliche Stille. Es sang noch kein Vogel und auch sonstiges Getier schwieg noch. Nur ein einzelner Mann stand vor einem Heuhafen, der von dem morgendlichen Tau ganz nass zu sein schien, und hob immer wieder die Hand über die Auge, um besser die Straße erkennen zu können. Er seufzte. Der Jurtenrucksack im Rücken drückte und auch die dunkelelfische Waffe unter seinem braunen Umhang fühlte sich ungewohnt an. Der Wind wehte scharf und zerrte an den kurzen schwarzen Haaren des Dunkelelfs. Seine spitzten Ohren ragten kahl und bedrohlich wie Schwertspitzen in die aufgehende Sonne hinein.
Ein wiederholtes Gähnen wurde durch ein plötzliches Rascheln unterbrochen. Verschlafen drehte der Dunkelelf sich um und griff mit einer Hand unter seinen Umhang nach der gebogenen dunkelelfischen Waffe. Auf einmal sprangen mehrere Goblins aus dem Haufen und drängten sich um Dandruil. Hecktisch riss er seine Waffe hoch und hielt sie abwehrend vor sein Gesicht. Die Goblins zogen geschwind kleine Dolche aus ihren weiten Ärmeln und begannen damit auf ihn einzustechen. Dandruil versuchte die vielen Attacken abzuwehren, doch die Goblins stachen immer schneller auf ihn ein und einer traf ihn an seiner linken Schulte. Sofort floss in Strömen Blut, aber die Goblins hackten immer noch auf ihn ein und weitere trafen ihn in seinen linken Arm. Ein Schlag und noch ein Schlag und noch einer. Zitternd ging Dandruil in die Knie, von blutüberströmt und hob die Arme abwehrend vor den Körper. Man konnte nur noch blitzende Waffen sehen, die auf den am Boden liegenden Körper einhackten.
„NEIN!“ Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit sprang er noch einmal auf und hackte mit seinem kreiselnden Dopperlschwert, an dem bist jetzt kaum Blut hing, die Köpfe der Goblins ab. Er dreht sich rasend vor Zorn um und blickte den Goblin an, der ihn zuerst verletzt hatte. Mit ganzer Kraft rammte er dem Gnom seine Klinge in den Leib. Der Stoß war so fest, dass er die Wirbelsäule durchdrang und die Schwerspitze aus dem Rücken des Toten ragt. Der blickte noch einmal fassungslos auf die Klinge, bevor er dann Tod zusammenbrach. Dandruil jedoch fasste sich an die Schulte und murmelte leise: „Waíse haill!“ Sofort begannen sich neue Hautstücke um die Wunde herum zu bilden und der blanke Knochen wurde wieder von gesunder leicht weißlicher Haut bedeckt, die für die Dunkelelfen so üblich war. Erschöpft setzte er sich in das Stroh, das mit Blut befleckt war und schob angewidert mit der Schuhspitze eine Goblinkopf zur Seite, der ihn noch aus seinen toten Augen angrinste, als ob er noch nicht wüsste, dass er nicht mehr war. Gondar … wo bleibst du nur? Die Sonne ist doch schon weit über den Horizont gewandert! Innerlich seufzte er. Dieser Kampf hatte ihm deutlich gezeigt, wo er kämpferisch stand. Seine ehemaligen famosen Kräfte waren kümmerlich geschrumpft. Er musste etwas tun, bevor er beim nächsten Mal noch starb.
Ein lustiges Rotkehlchen setzte sich wagemutig auf einen der abgetrennten Köpfe und begann, während es ein fröhliches Liedchen pfiff, die Augen des Goblin herauszuhacken. Unwillkürlich musste Dandruil grinsen. Diese Art von schwarzem Humor hätte Sandreel bestimmt gut gefallen. Er seufzte schwer. Die Erinnerung an sie schmerzte sehr. Aber ich werde sie finden! Und wenn ich bis ans Ende der Welt reisen muss!! Plötzlich hörte er ein zweites Lied gepfiffen, diesmal allerdings von einem Menschen, welches sich wunderbar mit dem des Vogels ergänzte. Man hörte keine Schritte, konnte nur anhand des Pfeifens erkennen, dass gleich eine Person hinter den Fichten hervortreten würde. Doch als Gondar dann hinter den Bäumen hervortrat, brach er abrupt das Lied ab.
„Was ist passiert, Dandruil? Du bist ja blutbespritzt!“ Gondar ging näher auf ihn zu und beäugte ihn misstrauisch. „Sag mir lieber, wo du warst? Ich wurde eben von einer Bande Goblins angegriffen. Ich wusste gar nicht, dass die mittlerweile auch in unseren Breiten wildern!“ „Sag bloß! Das war mir auch noch nicht bekannt. Ich … hatte noch zu tun. Aber jetzt können wir ja los. Ich würde heute Abend gerne schon Reckenheim erreichen. Von da sind es dann nur noch drei Tagesmärsche bis Burg Hohenmut.“ Dandruil stand auf und griff noch ein letztes Mal nach dem abgegriffenen Türknauf. Er wusste noch ganz genau, wie er diesen einst geschnitzt hatte. Das waren auch noch bessere Zeiten. „Dandruil?“ Er seufzte, zog den Rucksack straff. Während die Sonne bereits im Zenit stand, gingen die beiden einträchtig nebeneinander die Straße entlang. Man hörte keine Schritte und keine Stimme. Einzig das aufmüpfige Rotkehlchen flog munter singenden neben ihnen her.
So liefen sie einige Zeit still nebenher und keiner gedachte den anderen in seinen Gedanken zu stören. Doch auf einmal fiel Dandruil wieder ein, dass er ja noch gar nicht wusste, woher Gondar überhaupt kam. „Sag mal Gondar … du hast doch selbst zugestimmt, dass sich die Dunkelelfen nach Zhurag-Nar zurückgezogen haben. Woher kommst du dann eigentlich?“ Gondar schwieg, als müsste er sich erst überlegen wie viel Wahrheit er dem anderen anvertrauen konnte, bevor er anhub zu reden: „Ich … ich bin auch aus Zhurag-Nar. Doch meine Familie ist schon von einst her ein altes Handelsgeschlecht, wobei immer die Jüngeren in der Welt herumziehen, während die Alten von Zhurag-Nar unser Imperium regieren. Als ich jedoch vor einigen Jahren zurückkehren wollte, waren alle Eingänge verschlossen. Die wenigen Menschen, denen ich begegnete, brachten mir Misstrauen und Hass entgegen. In größere Siedlungen wagte ich mich gar nicht mehr. Doch hier im Zentrum des Landes kann ich relativ unbescholten leben.“ Bewundernd schüttelte Dandruil den Kopf. Es tragen also auch andere eine schweres Schicksal auf ihren Schultern. Laut seufzte er und schüttelte sacht den Kopf. Nur sind nicht alle auf der Flucht davor …

Man konnte diesen Gobblins aber auch noch nie vertrauen! Gnade Meister, Gnade! Ich flehe dich an, gib mir noch eine Chance! Auf dem Weg bis nach Burg Hohenmut können noch viele … Unfälle geschehen. Manche mit tödlichem Ende. Der Maskierte musste Grinsen und ein schauerliches Lachen erklang. Und dann ist die Krone wieder unser, Meister, und die alte Macht kehrt zurück zu den rechtmäßigen Herrschern!

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Prolog - Tränen der Finsternis
Sanft stieg Nebel aus der Finsternis des Bodens hervor und kroch über die Wiesen und Felder rings um Silberbach und ließ alles verschwommen und irreal erscheinen. Es lag eine gespenstische Stille über der kleinen Siedlung am Rande des Silbersees, aus dem grüne Dämpfe wie in einem Sumpf aufstiegen. Leise trieben die Kuhhirten ihre Anvertrauten über die saftigen Weiden und blickten sich dabei immer wieder nervös um. Diese unheimliche Stille verriet schlimmes. Die Straßen lagen leer und verwaist dar, nur eine nachtschwarze Katze tigerte unruhig durch die Gassen.
In einem kleinen Gehöft westlich der Stadt an der Straße gen Porto Vallum kuschelten sich zwei Liebende in ihr behagliches Bett. Sandreel, die Waldelfin, lag in den starken Armen ihres Liebsten, dem Dunkelelfen Dandruil. Sie seufzte. „Wann hatte dieses Versteckspiel endlich ein Ende?“, dachte sie bei sich. Niemand im Dorf hatte eine Ahnung, dass Dandruil einer der verpönten Dunkelelfen war. Sie hätten ihn wie einen Aussätzigen aus dem Dorf gejagt. Wieder seufzte sie leise und strich sich sanft über ihren Bauch. Doch plötzlich schreckte sie auf. Sie hatte ein leises Knarren im Wind vernommen, was eigentlich nicht ungewöhnlich war, da die Wände der Hütte von Löchern nur so wimmelten, aber irgendwie ahnte sie, dass diesmal etwas anderes schuld war. Unbehaglich zog sie die raue Schafsdecke höher und weckte Dandruil.
„Schatz. Schatz, wach auf. Ich habe etwas gehört. Kannst du bitte eben nachgucken, was dort war? Ich weiß nicht, ich habe irgendwie kein gutes Gefühl.“ Verschlafen grunzte Dandruil, stieg aus dem Bett und warf sich einen braunen Fellumhang über. Er stolperte in der Finsternis zur Tür, stieß sie auf und ging ein paar Schritte in die Finsternis. Auch ihm kroch ein Schaudern über die Haut und er wünschte sich nur noch wieder in sein warmes, molliges Bett. „Mausi, ich sehe hier nichts verdäch…“ Ein lautes Klirren von splitterndem Glas unterbrach ihn. Er drehte sich auf den Hacken um und rannte ins Haus zurück.
Die rötlich-braune Fensterscheibe war eingeschlagen und eine gebückte Gestalt in schwarzer Kutte stand über Sandreel gebeugt, die wie am Spieß schrie. „Was willst du von uns? Lass sie in Frieden! Verschwinde von hier!“ Aufgebracht stürzte Dandruil sich auf die maskierte Gestalt. Doch diese schleuderte zwei rote Feuerkugeln aus ihren Handflächen, die Dandruil an der Schläfe trafen und dessen Haut verbrannte. Bewusstlos sackte er sofort zu Boden.
„Was willst du von mir?“ Ängstlich wandte sich Sandreel im Bett, während der Maskierte näher kam. „Das wirst du bald erfahren. Du wirst verstehen.“ Mit verdächtig hoher Stimme sprach der Unbekannte bevor er ein grünes Pulver in Sandreels Gesicht blies, die darauf hin ohnmächtig im Bett zusammenbrach. Der Schwarze hub sie behutsam aus dem Bett, trug sie nach draußen und gurtete sie auf dem einen Pferd fest was vor dem Haus nervös mit den Hufen im Dreck gescharrt hatte. Mit geübter Bewegung sprang er dann auf das andere, einen schwarzen Rappen, und flüsterte diesem ins Ohr: „Auf, auf! Die Zeit ist reif!“
In schnellem Galopp preschten die zwei Pferde voran und zerteilten den Nebel, der sich jedoch rasch wieder über alles legte. Nach wenigen Sekunden zeugten nur noch die in der Luft vor sich her wabernden Atemwolken von dem vorgefallenen.
Im Morgengrauen setzte kühler, reinigender Regen ein, der so sanft und gräulich fiel, sodass es aussah, als ob der Himmel weinen würde.

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