Sonntag, 17. Juni 2007
Kapitel I - Verschlungene Wege der Zukunft
Leise und behutsam prasselte der Regen auf die Erde und weichte die unbefestigte Straße auf. Langsam aber stetig kroch die Sonne über den Horizont und erhellte die Wiesen und Wälder rings um Silberbach. Blitzend brachen sich die ersten Strahlen in den Fensterscheiben eines kleinen Bauernhauses und wurden von diesem reflektiert, sodass sie in alle Richtungen abstrahlten.
„Sandreel …“ Nervös flattern die Augelieder des bewusstlos am Boden liegenden, als die helle Sonne auf sie traf. Er wälzte sich auf der nassen Straße, bis er urplötzlich die Augen aufriss. „Sandreel!“ Wie von einer Biene gestochen sprang er auf und rannte in die Hütte. „Sandreel! Wo bist du? Antworte …“ Mit einem Schluchzen in der Stimme guckte er sich hektisch um. Sein Blut geriet in Wallung und man konnte deutlich die hervortretenden Adern auf seiner makellosen Stirn erkennen. „Wo bist du?“ Wie ein Berserker rannte er aus der leeren Hütte und schaute fragend in jede Himmelsrichtung. Doch nirgendwo ein Anzeichen von Leben. Einzig die Grashalme bewegten sich von einer leichten Brise getrieben.
„Nein! Das kann nicht sein … Warum??“ Anklagend riss er die Arme in die Höhe und setzte sich taumelnd auf die Türschwelle. Er vergrub den Kopf in den Armen und ein leises Wimmern und Schniefen ertönte, was so gar nicht zu dem geborenen Kämpfer passte. „Nein, nein, NEIN! Das darf nicht sein … das ist alles nicht wahr … !“ Anklagend spie er diese Worte förmlich aus und schlug bei jedem nein den Kopf verzweifelt auf seine Arme.
„Kann ich helfen?“ Ein Mann in einem wallenden Kapuzenumhang, der sein Gesicht in Schatten tauchte, war unbemerkt vor Dandruil getreten und bot diesem nun eine Hand an, um ihn hochzuziehen. Grimmig hob Dandruil den Kopf, seine Züge auf einmal erstarrt, und fixierte den Unbekannten. Er versuchte in dessen Augen zu blicken, konnte jedoch nur schwarze, tiefe Einbuchtungen erkennen. „Ich brauche keine Hilfe.“ Ohne die Hand des Fremden anzunehmen stand er auf und ein leichter rötlicher Schimmer schoss ihm auf die Wangen als er bemerkte, dass er nur mit einem leichten Umhang bekleidet war. „Das sieht aber anders aus.“ „Es mag anders aussehen als es ist. Warum sprecht ihr überhaupt so vertraut mit mir?“ Misstrauisch musterte Dandruil den anderen jetzt genauer und bemerkte trotz des dichten Umhangs, dass der Fremde sehr kräftig sein musste. „Kennen wir uns?“ „Nein,“, der Fremde schob seine Kapuze zurück und zum Vorscheinen kamen gelockte schwarze Haare, die jedoch nicht verbergen konnten, dass die Ohren des Mannes nach oben hin deutlich spitz zuliefen, „ich bin Gondar, Dunkelelf und Händler. Stets zu Diensten.“ Mit einer ausladenden Bewegung verbeugte sich der Händler und bezeugte diesem so seine Ehrerbietung. „Immer zu einem guten Geschäft bereit.“ „Aber was macht ihr außerhalb Zhurag-Nars? Die Dunkelelfen haben sich doch alle dorthin zurückgezogen und alle Eingänge verschlossen, um sich vor den Bedrohungen der Außenwelt schützen zu können!“, mit wachsender Wut spuckte Dandruil die letzten Worte förmlich aus. Er brauchte etwas um seinen gnadelosen Hass abzureagieren. Hass auf die Ungerechtigkeit der Entführung, Hass auf die Dunkelelfen, Hass auf das ewige Verstecken. „Nicht alle. Ich jedenfalls suche noch einen Weggefährten, der mich auf meiner Reise in die Burg Sternental begleitet. Ich habe dort geschäftlich zu tun. Es sieht aus als ob du auch diese eintönige Landschaft leid wärst. Aber … wie heißt du überhaupt?“ Doch Dandruil hatte kaum zugehört. Sein Blick war zu der zersplitterten Fensterscheibe geflogen. Er stutze, als er an einer hervorstehenden Glasscherbe einen schwarz glänzenden Stofffetzen entdeckte. Er kannte diese Art von Stoff. Plötzlich dämmerte es ihm, was heute Nacht vorgefallen war und ein leichter Schauder ließ ihn frösteln. „Geht es dir nicht gut?“ „Doch. Dandruil – ich heiße Dandruil. Du willst in die Burg Sternental? Ich könnte dich bis Burg Hohenmut begleiten. Ich muss in das Kloster der Seraphim.“ Er musste mehr erfahren, seinen Verdacht bestätigen, auch wenn dies sehr grausam und schmerzvoll für ihn werden würde. Als Gondar seinen Namen hörte hob er erstaunt die Augenbrauen und guckte ihn merkwürdig musternd an. Dandruil jedoch verdrängte das schlechte Gefühl sofort. „Nun … gut. Ich möchte zeitig reisen. Sagen wir morgen früh um Sonnenaufgang hier bei deiner Hütte?“ „Gut.“ Während Gondar die Straße zurück ins Dorf ging stand Dandruil noch eine Weile unschlüssig vor dem Haus. Es ist ein schmaler Grad zwischen Richtig und Falsch. Ob das wohl richtig war? Kann ich ihm vertrauen? Grübelnd ging er in seine nun für ihn kühle und bedrohliche Hütte, die ihren früheren Charme verloren hatte.
Sein weniges Gut, was er mitnehmen würde, hatte er schnell in seinen Rucksack gepackt. Sakkara also. Warum nur? Verzweifelt hatte er versucht eine Lösung auf diese Frage zu finden. Nach einiger Grübelei hatte er sich aufgerafft und war ins Dorf gegangen. Er hatte noch etwas zu erledigen bevor er für einige Zeit sein sicheres Nest, das ihm jahrelang Schutz und Hoffnung geben hatte, verlassen würde. Es kam ihm fast so vor, als würde er vor etwas fliehen. Als würde man vor etwas fliehen, von dem man nicht einmal genau weiß, was es überhaupt ist.

„Ismodir, ich werde für längere Zeit verreisen. Könntest du bitte solange auf meine Hütte und mein Vieh aufpassen.“ „Ja natürlich Dandruil. Aber wohin gehst du denn? Und wieso? Und – wo ist überhaupt Sandreel?“ Nervös guckte Dandruil sich um. Jetzt kam es darauf an, dass er dem Richtigen vertraute.
„Ich glaube, sie wurde entführt.“ „Entführ?!“ Ismodir zuckte in der Gasse zusammen und seine wenigen grauen Haare auf dem Kopf schaukelten wild hin und her. „Aber … wer sollte denn so etwas tun?“ „Ich weiß es nicht. Naja – ich habe einen Verdacht…“ Unruhig schaute sich Dandruil um und ein leichtes Schaudern erfüllte ihm bei Sprechen der nächsten Worte. „Ich glaube es waren Sakkarapriester.“ „Sakkaras? Hier bei uns? Die Götter seien mit uns!“ „Ja, ich zweifele auch noch daran. Was sollten sie hier bei uns wollen? Und was wollen sie von Sandreel? Aber … ich habe keine Zeit um mit Soldaten zu reden und Verhandlungen zu leiten. Das würde zu lange dauern. Ich muss jetzt aufbrechen!“ „Hmmm … ich verstehe dich. Aber warum kommst du damit zu mir?“ Ismodir strich sich über den langen grauen Bart und runzelte leicht die Stirn. Er hatte schon einiges in seinem Leben gesehen und in konnte fast nichts mehr schocken. „Ich wollte dich bitten, zu den Soldaten zu gehen und eine Suche einzuleiten. Oder sie wenigstens vor den Sakkaras zu warnen. Ich kann das nicht machen…“ „…, weil das zu lange dauert und die Soldaten nur nervige Fragen stellen würden.“ vollendete Ismodir den Satz. „Ja, ich verstehe dich. Nun gut. Dann geh, aber gib auf dich Acht. Es lauern heutzutage viele Gefahren in Ancaria. Auch manche, von denen wir nichts ahnen …“ „Ich werde schon auf mich aufpassen. Danke für deine Hilfe. Wir werden uns wieder sehen … irgendwann!“
Zum Abschied drückte er den alten Mann noch einmal an sich und ließ ihn dann alleine in der dunklen Gasse stehen, in der sie sich unterhalten hatten. Er war ihm all die Jahre wie ein Vater vorgekommen … wie ein richtiger Vater.
„Ich wusste doch, dass du es kannst.“ Ismodir zitterte am ganzen Körper. Er fühlte wieder die kalte Klinge in seinem Nacken, die leichte rötliche Striemen auf seinem Hals hinterließ. „Du weißt hoffentlich noch, was ich dir gesagt habe! Keine Soldaten, keine Suche. Sonst …“ Spielerisch ließ der Fremde das Messer über die Haut gleiten und ein dünnes Rinnsal floss Ismodirs Rücken herunter. „Jetzt geh. Und hoffe, dass ich dich wieder vergesse!“ Zitternd verschwand der alte Mann über den Marktplatz in seine eigene Hütte, während ihn das Lachen des Maskierten noch bis in seine Träume verfolgte.

Ein lautes Gähnen unterbrach die morgendliche Stille. Es sang noch kein Vogel und auch sonstiges Getier schwieg noch. Nur ein einzelner Mann stand vor einem Heuhafen, der von dem morgendlichen Tau ganz nass zu sein schien, und hob immer wieder die Hand über die Auge, um besser die Straße erkennen zu können. Er seufzte. Der Jurtenrucksack im Rücken drückte und auch die dunkelelfische Waffe unter seinem braunen Umhang fühlte sich ungewohnt an. Der Wind wehte scharf und zerrte an den kurzen schwarzen Haaren des Dunkelelfs. Seine spitzten Ohren ragten kahl und bedrohlich wie Schwertspitzen in die aufgehende Sonne hinein.
Ein wiederholtes Gähnen wurde durch ein plötzliches Rascheln unterbrochen. Verschlafen drehte der Dunkelelf sich um und griff mit einer Hand unter seinen Umhang nach der gebogenen dunkelelfischen Waffe. Auf einmal sprangen mehrere Goblins aus dem Haufen und drängten sich um Dandruil. Hecktisch riss er seine Waffe hoch und hielt sie abwehrend vor sein Gesicht. Die Goblins zogen geschwind kleine Dolche aus ihren weiten Ärmeln und begannen damit auf ihn einzustechen. Dandruil versuchte die vielen Attacken abzuwehren, doch die Goblins stachen immer schneller auf ihn ein und einer traf ihn an seiner linken Schulte. Sofort floss in Strömen Blut, aber die Goblins hackten immer noch auf ihn ein und weitere trafen ihn in seinen linken Arm. Ein Schlag und noch ein Schlag und noch einer. Zitternd ging Dandruil in die Knie, von blutüberströmt und hob die Arme abwehrend vor den Körper. Man konnte nur noch blitzende Waffen sehen, die auf den am Boden liegenden Körper einhackten.
„NEIN!“ Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit sprang er noch einmal auf und hackte mit seinem kreiselnden Dopperlschwert, an dem bist jetzt kaum Blut hing, die Köpfe der Goblins ab. Er dreht sich rasend vor Zorn um und blickte den Goblin an, der ihn zuerst verletzt hatte. Mit ganzer Kraft rammte er dem Gnom seine Klinge in den Leib. Der Stoß war so fest, dass er die Wirbelsäule durchdrang und die Schwerspitze aus dem Rücken des Toten ragt. Der blickte noch einmal fassungslos auf die Klinge, bevor er dann Tod zusammenbrach. Dandruil jedoch fasste sich an die Schulte und murmelte leise: „Waíse haill!“ Sofort begannen sich neue Hautstücke um die Wunde herum zu bilden und der blanke Knochen wurde wieder von gesunder leicht weißlicher Haut bedeckt, die für die Dunkelelfen so üblich war. Erschöpft setzte er sich in das Stroh, das mit Blut befleckt war und schob angewidert mit der Schuhspitze eine Goblinkopf zur Seite, der ihn noch aus seinen toten Augen angrinste, als ob er noch nicht wüsste, dass er nicht mehr war. Gondar … wo bleibst du nur? Die Sonne ist doch schon weit über den Horizont gewandert! Innerlich seufzte er. Dieser Kampf hatte ihm deutlich gezeigt, wo er kämpferisch stand. Seine ehemaligen famosen Kräfte waren kümmerlich geschrumpft. Er musste etwas tun, bevor er beim nächsten Mal noch starb.
Ein lustiges Rotkehlchen setzte sich wagemutig auf einen der abgetrennten Köpfe und begann, während es ein fröhliches Liedchen pfiff, die Augen des Goblin herauszuhacken. Unwillkürlich musste Dandruil grinsen. Diese Art von schwarzem Humor hätte Sandreel bestimmt gut gefallen. Er seufzte schwer. Die Erinnerung an sie schmerzte sehr. Aber ich werde sie finden! Und wenn ich bis ans Ende der Welt reisen muss!! Plötzlich hörte er ein zweites Lied gepfiffen, diesmal allerdings von einem Menschen, welches sich wunderbar mit dem des Vogels ergänzte. Man hörte keine Schritte, konnte nur anhand des Pfeifens erkennen, dass gleich eine Person hinter den Fichten hervortreten würde. Doch als Gondar dann hinter den Bäumen hervortrat, brach er abrupt das Lied ab.
„Was ist passiert, Dandruil? Du bist ja blutbespritzt!“ Gondar ging näher auf ihn zu und beäugte ihn misstrauisch. „Sag mir lieber, wo du warst? Ich wurde eben von einer Bande Goblins angegriffen. Ich wusste gar nicht, dass die mittlerweile auch in unseren Breiten wildern!“ „Sag bloß! Das war mir auch noch nicht bekannt. Ich … hatte noch zu tun. Aber jetzt können wir ja los. Ich würde heute Abend gerne schon Reckenheim erreichen. Von da sind es dann nur noch drei Tagesmärsche bis Burg Hohenmut.“ Dandruil stand auf und griff noch ein letztes Mal nach dem abgegriffenen Türknauf. Er wusste noch ganz genau, wie er diesen einst geschnitzt hatte. Das waren auch noch bessere Zeiten. „Dandruil?“ Er seufzte, zog den Rucksack straff. Während die Sonne bereits im Zenit stand, gingen die beiden einträchtig nebeneinander die Straße entlang. Man hörte keine Schritte und keine Stimme. Einzig das aufmüpfige Rotkehlchen flog munter singenden neben ihnen her.
So liefen sie einige Zeit still nebenher und keiner gedachte den anderen in seinen Gedanken zu stören. Doch auf einmal fiel Dandruil wieder ein, dass er ja noch gar nicht wusste, woher Gondar überhaupt kam. „Sag mal Gondar … du hast doch selbst zugestimmt, dass sich die Dunkelelfen nach Zhurag-Nar zurückgezogen haben. Woher kommst du dann eigentlich?“ Gondar schwieg, als müsste er sich erst überlegen wie viel Wahrheit er dem anderen anvertrauen konnte, bevor er anhub zu reden: „Ich … ich bin auch aus Zhurag-Nar. Doch meine Familie ist schon von einst her ein altes Handelsgeschlecht, wobei immer die Jüngeren in der Welt herumziehen, während die Alten von Zhurag-Nar unser Imperium regieren. Als ich jedoch vor einigen Jahren zurückkehren wollte, waren alle Eingänge verschlossen. Die wenigen Menschen, denen ich begegnete, brachten mir Misstrauen und Hass entgegen. In größere Siedlungen wagte ich mich gar nicht mehr. Doch hier im Zentrum des Landes kann ich relativ unbescholten leben.“ Bewundernd schüttelte Dandruil den Kopf. Es tragen also auch andere eine schweres Schicksal auf ihren Schultern. Laut seufzte er und schüttelte sacht den Kopf. Nur sind nicht alle auf der Flucht davor …

Man konnte diesen Gobblins aber auch noch nie vertrauen! Gnade Meister, Gnade! Ich flehe dich an, gib mir noch eine Chance! Auf dem Weg bis nach Burg Hohenmut können noch viele … Unfälle geschehen. Manche mit tödlichem Ende. Der Maskierte musste Grinsen und ein schauerliches Lachen erklang. Und dann ist die Krone wieder unser, Meister, und die alte Macht kehrt zurück zu den rechtmäßigen Herrschern!

... comment