Sonntag, 17. Juni 2007
Kapitel II - Kandir
darbuit, 15:42h
Die Sonne war bereits untergegangen und es legte sich allmählich eine nächtliche Kälte über alles. Es war zwar noch Herbst, doch der Winter hatte bereits seine eisigen Klauen nach Ancaria ausgestreckt. Die Bäume verloren bereits ihre ersten Blätter und wer gute Augen hatte konnte bei Tageslicht eifrige Eichhörnchen sehen, die hektisch Nüsse in der Erde vergruben. Voll und rund hing der Mond am Himmel und schickte sein schwaches weißes Licht auf die Erde, welches die nahe Umgebung geradezu mystisch erscheinen ließ.
„Lass uns hier unser Nachtlager aufschlagen! Es ist schon dunkel und bald können wir nicht einmal mehr den Weg erkennen!“ „Warte. Bis Reckendorf kann es nicht mehr weit sein.“ „Ok. Aber wenn nicht hinter der nächsten Biegung der Ortseingang auftaucht, machen wir an Ort und Stelle Rast!“ „Meinetwegen.“ Dandruil war erschöpft und müde. Dieser Marsch war anstrengender, als er gedacht hätte. Beiläufig schielte er zu Gondar. Insgeheim beneidete er diesen, weil er immer noch keine Schwächeerscheinungen zeigte. Er muss wirklich viel in Ancaria herumreisen. Er verkniff sich ein Gähnen und schaute nach dem kleine Rotkehlchen, welches sich auf seinen Rucksack gesetzt hatte und das Gefieder geplustert hatte, um sich warum zu halten. Aus kleinen schwarzen Augen guckte es ihn neugierig an und schien sagen zu wollen: „Lass dich nicht entmutigen. Es ist nicht mehr weit. Und außerdem – du weißt doch wieso du das tust!“ Verschmitzt musste Dandruil grinsen.
Plötzlich rammte ihm Gondar seinen Arm in den Bauch. „Warte! Da drüben brennt Licht!“ Verschlafen antwortete Dandruil: „Na toll! Dann haben wir Reckenheim ja heute doch noch erreicht!“ Er wollte Gondars Arm zur Seite schieben, doch dieser verstärkte nur seinen Druck. „Du verstehst nicht. Für ein Dorf sind das zu wenig Lichter! Ich weiß nicht wer oder was da ist. Am besten trennen wir uns und schleichen getrennt an das Licht heran. Ich gehe nach rechts und du nach links.“ „Gut. Als Erkennungszeichen nehmen wir … einen Eulenruf.“
Behutsam setzte Dandruil einen Fuß nach dem anderen auf und tastete vor dem Aufsetzten danach ob er auf einem weichen Moospolster landen würde, welches beim auftreten kein Geräusch verursachte. Er schaute nach Gondar, konnte diesen jedoch in der Dunkelheit nicht mehr erkennen. „Salve te, helios. Salve te, luminus. Salve te, …“ Vorsichtig schob er einen Zweig zur Seite, um erkennen zu können, woher das Licht kam. Auf einer kleinen Lichtung war ein quadratisches Wasserbecken eingelassen im dem auf einer kleinen Granitsäule eine Götterstatue stand. In der einen Hand hielt sie einen riesigen Stab, der die Göttin fast überragte, die andere hielt sie ausgestreckt nach vorne, als wollte sie auf ein Ziel in der Ferne zeigen. Dandruils Blick folgte dem ausgestreckten Arm, doch er konnte nichts Besonderes entdecken. Um das Bassin, in dem in grünen Wasser weiße Seerosen erblühten und sich ein paar goldene Fische tummelten, waren drei Steinbänke aufgestellt, die jeweils eine tiefe und zerfurchte Sitzmulde zeigten, als ob sie schon Jahrtausende dort ständen. An der vierten Seite, dort wohin die Göttin schaute und an welcher keine Sitzbank stand, kniete eine verhüllte Person. Dandruil ging leise aus den Baumreihen heraus und betrat die Lichtung. Der Boden war, soweit er es in der Dunkelheit erkennen konnte, von abertausenden von Blumen bedeckt, die einen angenehmen Duft verströmten, den er jedoch nicht einordnen konnte, obwohl er sich sicher war, diesen zu kennen. „ …, florae. Salve te, arbores. Salve te, deí!“ Zum Ende hin hatte sich der mystische Gesang des Verschleierten noch gesteigerte und er hatte, einem inneren Rhythmus folgend, die Arme wie in einem Gebet gehoben und gesenkt. Beim letzten Wort hatte er den Kopf auf den Boden gesenkt und die Arme weit nach vorne ausgestreckt. Da seine weiße Kutte jedoch nicht lang genug war, rutschte sie etwas zurück und man konnte im Mondlicht seine braunen Hände erkennen. Sie waren ohne jeden Kratzer und an dem Ringfinger der linken Hand saß ein prächtiger goldener Ring der mit einem weißen von blauen Streifen durchsetzten Rubin versehen war. In den Ring schien etwas eingraviert zu sein, jedoch konnte Dandruil aufgrund der Entfernung nicht genau erkennen, was dort stand. Dies ist bestimmt kein Mann der Arbeit. Da hat ja selbst ein Schreiberling mehr Furchen in den Händen. Und der Ring ist bestimmt auch von höchstem Wert.
„Welcher Unwürdige stört das heilige Ritual?“ So plötzlich aus seinen Gedanken gerissen erschrak Dandruil. War er etwa gemeint? Er guckte sich erstaunt um. Von Gondar keine Spur – weiß der Teufel wo der wieder steckt – und der Verschleierte hatte sich nicht eine Fingerspitze bewegt. Die Luft anhaltend versuchte Dandruil sich langsam von der Lichtung zurückzuziehen, denn das Geschehen war ihm nicht ganz geheuer. „Bleib stehen! Flucht nützt dir nichts! Bevor du die Mýshrr Gwadear verlassen hättest wärst du bereits tot.“ Wie erstarrt blieb Dandruil stehen. Was sollte das? Wer ist das überhaupt? Er beschloss nicht weiter so zu tun, als ob er nicht da wäre. „Und wer wagt es einem großen Krieger zu befehlen?“ „Großer Krieger? Vielleicht ein großer Krieger des Wortes, aber bestimmt nicht der Waffe. Ein solcher wäre sicherlich nicht einfach so in ein unbekanntes Terrain eingedrungen ohne vorher die Lage zu sichern!“ Dandruil schwieg. Der Fremde hatte ihn durchschaut. Jetzt war guter Rat teuer. Er konnte sich zu erkennen geben und so denn Tod riskieren oder die Situation ausschweigen und auf Gondars Hilfe hoffen. Er schwieg. Die Zeit verging und ein geduldsamer Beobachter konnte den Mond über den sonst schwarzen Himmel wandern sehen. Ein Fisch sprang mutig aus dem Wasser und schnappte nach einer der Mücken, die in großen Schwärmen in der Luft standen. Als er zurück ins Becken fiel platschte eine kleine Fontäne in die Luft. Sie war pechschwarz.
Dandruil runzelte leicht die Stirn. „Sakkara …“ flüsterte er, doch da trat bereits eine der gefürchteten Priesterinnen aus den Bäumen. Der Betende schien nichts zu bemerken, er ließ zumindest keine Gefühlsregung nach außen dringen. „Pass auf dich auf! Da ist eine Sakkarapriesterin!“ Während er noch die Warnung für den anderen aussprach, stolperte er bereits rückwärts in den Wald zurück um an die nahe Straße zu gelangen. Doch plötzlich schossen blau-lila Fesseln aus dem Boden und hielten ihn fest. Er zerrte an seinen Händen und Beinen, konnte sich jedoch nicht bewegen. Sicher, er hätte sich mit einem Kampfsprung, den selbst der schwächste Dunkelelf noch schaffte, retten können, doch die nahen Bäume behinderten ihn und er konnte sich nicht rühren. Er versuchte einen Eulenruf über die Lippen zu bringen, doch sein Mund war wie ausgetrocknet und so entfuhr ihm kein Laut.
Mit einer kreiselnden Bewegung zog die Priesterin eine blitzende Sichel aus dem Ärmel ihrer schwarzen, langen Kutte. Mit der anderen Hand vollführte sie einen Schlenker in der Luft und beschwor so einen Meteoritenhagel herauf. Mit einer unglaublichen Wärmewallung schossen die Gesteinsbrocken nieder. Der Betende verharrte noch immer in seiner Position, bis die Geschosse auf eine Manneslänge nah gekommen waren. Ruckartig stemmte er seinen Oberkörper nach oben und faltete seine Hände in der Luft, um sie sofort auseinander zu reißen. Fingerlängen vor ihm drehten die Meteoriten ab und krachten in die nahe liegenden Bäume, die schwarz verkohl in sich zusammen stürzten. Er jedoch murmelte ein paar leise Worte, Beschwörungen wie Dandruil vermutete, und auf einmal schossen Blitze aus dem Himmel und trafen die Sakkarpriesterin, die unter qualvollen Gestöhn zusammenbrach.
„Sie haben also doch Gefühle …“ „Nein, haben sie nicht. Das Geschrei dient nur um andere Priesterinnen anzulocken. Aber komm jetzt. Gleich tauchen sicher noch welche auf!“ Dandruil hatte kaum bemerkt, wie der Verhüllte so schnell neben hatte gelangen können. Sonderbar. Aber wo bleibt Gondar? Ihm ist doch wohl hoffentlich nichts passiert? „Beeil dich!“ Der Andere riss ihn am Arm mit sich in den Wald und Dandruil bemerkte jetzt erst, dass sich die Fesseln um seine Beine gelöst hatten. Widerwillig flüchtete er mit ihm. „Aber mein Freund …“ Wütend blieb der Andere stehen, drehte sich fahrig zu Dandruil um und fuhr diesen barsch an: „Und wenn er dein Freund war, wo war er dann als du ihn brauchtest?“ Unbeantwortet ließ der Verhüllte in Stehen und ging tiefer in den Wald hinein. Hastig rannte Dandruil ihm hinter her, um sich nicht noch in diesem Gestrüpp zu verlaufen.
Keuchend brachen sie durch den Waldrand und blieben erstaunt stehen, als sie dort Gondar im Kampf mit einem Räuber sahen. Fasziniert blieben sie stehen und sahen zu, wie die beiden in der Schnelle der Bewegung zu einem verflossen. Nur Fingerbreit von einander entfernt schabten die beiden Klingen übereinander und Gondar konnte die tiefschwarzen Augen des Räubers sehen. Mit Schwung drehte er sich einmal und wollte dann den Gauner am Herzen treffen, doch der sah dessen Parade voraus und blockte wieder exzellent ab. Die Schwerter übereinander schabend gingen sie beide im Kreis, bis der Räuber ruckartig nach hinten sprang und mit dem gezückten Schwert seitwärts auf Gondar zu lief. Dieser konnte jedoch nicht sehen, wie der andere mit seinem linken Arm nach einem vergifteten Dolch tastete, den er in seinem Ärmel versteckt hatte. Lässig blockte Gondar den Angriff, merkte jedoch erst zu spät aus den Augenwinkeln, dass das nur eine Finte gewesen war. Er wollte sich durch eine Rückwärtsrolle aus der Reichweite des Dolches bringen, doch der Räuber hatte schon zugestochen und blickte diesen triumphierend an. Röchelnd und in Todeskrämpfe verfallen wand Gondar sich am Boden. „Dandruil …“
Wie aus einer Starre erlöst rannten beide sofort zu dem Gefallen. Schon im Laufen flüsterte der Verhüllte seine Formel und ein Blitz schoss aus dem Himmel. Vom Räuber blieb nur ein Häufchen Asche übrig. Unterdessen war Dandruil bei Gondar angekommen und begann in seinem Rucksack nach einem Gegengift zu suchen. Gefunden! Mit sichtlicher Erleichterung zog er eine bauchige Flasche mit grünem Inhalt aus diesem und beugte sich zu Gondar, der auf dem Boden lag. „Hier, trink!“ Er schob seine Hand unter dessen Kopf, hob diesen an und flößte ihm das Elixier ein. Es gluckerte leise, als die Medizin Gondars Kehle herunterrann. Nach einiger Zeit war die Flasche leer und Dandruil verstaute sie wieder in seinem Rucksack. „Danke. Das war echt knapp. Diese hinterhältige Ratte griff mich an, als ich mich gerade durch die Büsche schlagen wollte. Feiges Pack … aber wer ist eigentlich dieser Kerl da?“ „Das ist mein Retter und …“ „Ich bin Kandir.“ Mit diesen Worten schlug Kandir zum ersten Mal seine Kapuze zurück und man konnte deutlich erkennen, dass er ein Seraphim war. Ein männlicher Seraphim. Seine blonden Haare waren über dem Kopf zu einem Zopf geflochten und gaben den Blick frei auf sein makelloses Gesicht. Die Augen von ihm strahlten blau in die Umgebung und seine Lippen waren leicht geschwungen. „Soso … ein Seraphim. Ihr gebt euch also auch neuerdings mit Anderen ab? Aber da du uns ja jetzt geholfen hast kannst du ja gehen!“ Gondar, ich finde das ist nicht sehr angebracht …“ „Und du nennst dich Freund? Du hättest ihn hier verrecken lassen! Die Dunkelelfen sind doch alle gleich!“ „Sag das noch mal! Da sieht man’s mal wieder: Seraphim sind hinterlistig, durchtrieben und haben Vorurteile!“ „Und Dunkelelfen sind brutal, dumm und starrsinnig!“ „Besser als …“ „Ruhe jetzt!“ Wütend sprang Dandruil zwischen die beiden Streitenden. „Ihr beruhigt euch jetzt erst mal wieder. Und in der Zeit kann uns Kandir ja erzählen wo er herkommt und wo er hin will. Ich bin übrigens Dandruil und das ist Gondar.“ Grimmig starrten sich Gondar und Kandir immer noch an, bis dieser dann anfing zu reden: „Ich komme aus der Klosterfeste am Eisbachpass und überbrachte eine wichtige Nachricht in das Kloster nahe Silberbach. Auf dem Rückweg kam ich hier an diesem Gebetstein vorbei und legte eine kurze Pause ein. Dabei hast du mich ja überrascht.“ „Ist ja interessant! Ich muss auch ins Kloster … da können wir doch zusammen reisen!“ „Natürlich. Und wohin muss dieser … Gewaltklotz?“ „Ganz bestimmt nicht in dieses Kloster zu diesen Etepetete Leuten. Und außerdem geht dich das nen Dreck an, wo ich hin will!“ „War ja klar, dass so nen Hau-druff-Halodrian nichts mit Kunst und Muse anfangen kann.“ „Besser sich wehren können, als nur andere voll zu sabbeln. Und außerdem … ich dachte es gäbe nur weibliche Seraphim?“ Diese Worte drangen wie ein Dolch in Kandir. Dandruil war jedoch schlau genug um dazwischen zu gehen. „Fein. Dann reisen wir jetzt also zusammen. Kommt, dann erreichen wir im Morgengrauen noch Reckenheim!“ Stramm marschierte Dandruil einfach los ohne sich umzusehen. Mit einem lauten Piepsen tauchte das klein Rotkehlchen wieder aus seinem Rucksack auf und flog nun vergnügt um ihn herum.
„Wenn du ihm etwas tust …“ „Dann was?“ Schweigend blickten sich die Beiden lange in die Augen, bevor sie Dandruil nacheilten, der bereits im Nebel zu verschwinden schien.
Noch ein Feind mehr! Das wird ja immer schwieriger! Und ich hab auch nicht mehr so viel Zeit. Eigentlich hätte er das nicht überleb! Wäre nur dieser verdammte Seraphim nicht gewesen! Aber mir kommt da gerade schon eine neue Idee!
Mit einem lauten Zischen brach ein Pfeil aus dem Nebel hervor und traf Dandruil mitten in die Brust, sodass er röchelnd zusammen brach. „Dandruil!“ Ein Aufschrei entfuhr den beiden Gefährten, als sie sahen wie dieser zusammen stürzte und sich Blut auf seiner Kutte bildete. „Nein …“
„Lass uns hier unser Nachtlager aufschlagen! Es ist schon dunkel und bald können wir nicht einmal mehr den Weg erkennen!“ „Warte. Bis Reckendorf kann es nicht mehr weit sein.“ „Ok. Aber wenn nicht hinter der nächsten Biegung der Ortseingang auftaucht, machen wir an Ort und Stelle Rast!“ „Meinetwegen.“ Dandruil war erschöpft und müde. Dieser Marsch war anstrengender, als er gedacht hätte. Beiläufig schielte er zu Gondar. Insgeheim beneidete er diesen, weil er immer noch keine Schwächeerscheinungen zeigte. Er muss wirklich viel in Ancaria herumreisen. Er verkniff sich ein Gähnen und schaute nach dem kleine Rotkehlchen, welches sich auf seinen Rucksack gesetzt hatte und das Gefieder geplustert hatte, um sich warum zu halten. Aus kleinen schwarzen Augen guckte es ihn neugierig an und schien sagen zu wollen: „Lass dich nicht entmutigen. Es ist nicht mehr weit. Und außerdem – du weißt doch wieso du das tust!“ Verschmitzt musste Dandruil grinsen.
Plötzlich rammte ihm Gondar seinen Arm in den Bauch. „Warte! Da drüben brennt Licht!“ Verschlafen antwortete Dandruil: „Na toll! Dann haben wir Reckenheim ja heute doch noch erreicht!“ Er wollte Gondars Arm zur Seite schieben, doch dieser verstärkte nur seinen Druck. „Du verstehst nicht. Für ein Dorf sind das zu wenig Lichter! Ich weiß nicht wer oder was da ist. Am besten trennen wir uns und schleichen getrennt an das Licht heran. Ich gehe nach rechts und du nach links.“ „Gut. Als Erkennungszeichen nehmen wir … einen Eulenruf.“
Behutsam setzte Dandruil einen Fuß nach dem anderen auf und tastete vor dem Aufsetzten danach ob er auf einem weichen Moospolster landen würde, welches beim auftreten kein Geräusch verursachte. Er schaute nach Gondar, konnte diesen jedoch in der Dunkelheit nicht mehr erkennen. „Salve te, helios. Salve te, luminus. Salve te, …“ Vorsichtig schob er einen Zweig zur Seite, um erkennen zu können, woher das Licht kam. Auf einer kleinen Lichtung war ein quadratisches Wasserbecken eingelassen im dem auf einer kleinen Granitsäule eine Götterstatue stand. In der einen Hand hielt sie einen riesigen Stab, der die Göttin fast überragte, die andere hielt sie ausgestreckt nach vorne, als wollte sie auf ein Ziel in der Ferne zeigen. Dandruils Blick folgte dem ausgestreckten Arm, doch er konnte nichts Besonderes entdecken. Um das Bassin, in dem in grünen Wasser weiße Seerosen erblühten und sich ein paar goldene Fische tummelten, waren drei Steinbänke aufgestellt, die jeweils eine tiefe und zerfurchte Sitzmulde zeigten, als ob sie schon Jahrtausende dort ständen. An der vierten Seite, dort wohin die Göttin schaute und an welcher keine Sitzbank stand, kniete eine verhüllte Person. Dandruil ging leise aus den Baumreihen heraus und betrat die Lichtung. Der Boden war, soweit er es in der Dunkelheit erkennen konnte, von abertausenden von Blumen bedeckt, die einen angenehmen Duft verströmten, den er jedoch nicht einordnen konnte, obwohl er sich sicher war, diesen zu kennen. „ …, florae. Salve te, arbores. Salve te, deí!“ Zum Ende hin hatte sich der mystische Gesang des Verschleierten noch gesteigerte und er hatte, einem inneren Rhythmus folgend, die Arme wie in einem Gebet gehoben und gesenkt. Beim letzten Wort hatte er den Kopf auf den Boden gesenkt und die Arme weit nach vorne ausgestreckt. Da seine weiße Kutte jedoch nicht lang genug war, rutschte sie etwas zurück und man konnte im Mondlicht seine braunen Hände erkennen. Sie waren ohne jeden Kratzer und an dem Ringfinger der linken Hand saß ein prächtiger goldener Ring der mit einem weißen von blauen Streifen durchsetzten Rubin versehen war. In den Ring schien etwas eingraviert zu sein, jedoch konnte Dandruil aufgrund der Entfernung nicht genau erkennen, was dort stand. Dies ist bestimmt kein Mann der Arbeit. Da hat ja selbst ein Schreiberling mehr Furchen in den Händen. Und der Ring ist bestimmt auch von höchstem Wert.
„Welcher Unwürdige stört das heilige Ritual?“ So plötzlich aus seinen Gedanken gerissen erschrak Dandruil. War er etwa gemeint? Er guckte sich erstaunt um. Von Gondar keine Spur – weiß der Teufel wo der wieder steckt – und der Verschleierte hatte sich nicht eine Fingerspitze bewegt. Die Luft anhaltend versuchte Dandruil sich langsam von der Lichtung zurückzuziehen, denn das Geschehen war ihm nicht ganz geheuer. „Bleib stehen! Flucht nützt dir nichts! Bevor du die Mýshrr Gwadear verlassen hättest wärst du bereits tot.“ Wie erstarrt blieb Dandruil stehen. Was sollte das? Wer ist das überhaupt? Er beschloss nicht weiter so zu tun, als ob er nicht da wäre. „Und wer wagt es einem großen Krieger zu befehlen?“ „Großer Krieger? Vielleicht ein großer Krieger des Wortes, aber bestimmt nicht der Waffe. Ein solcher wäre sicherlich nicht einfach so in ein unbekanntes Terrain eingedrungen ohne vorher die Lage zu sichern!“ Dandruil schwieg. Der Fremde hatte ihn durchschaut. Jetzt war guter Rat teuer. Er konnte sich zu erkennen geben und so denn Tod riskieren oder die Situation ausschweigen und auf Gondars Hilfe hoffen. Er schwieg. Die Zeit verging und ein geduldsamer Beobachter konnte den Mond über den sonst schwarzen Himmel wandern sehen. Ein Fisch sprang mutig aus dem Wasser und schnappte nach einer der Mücken, die in großen Schwärmen in der Luft standen. Als er zurück ins Becken fiel platschte eine kleine Fontäne in die Luft. Sie war pechschwarz.
Dandruil runzelte leicht die Stirn. „Sakkara …“ flüsterte er, doch da trat bereits eine der gefürchteten Priesterinnen aus den Bäumen. Der Betende schien nichts zu bemerken, er ließ zumindest keine Gefühlsregung nach außen dringen. „Pass auf dich auf! Da ist eine Sakkarapriesterin!“ Während er noch die Warnung für den anderen aussprach, stolperte er bereits rückwärts in den Wald zurück um an die nahe Straße zu gelangen. Doch plötzlich schossen blau-lila Fesseln aus dem Boden und hielten ihn fest. Er zerrte an seinen Händen und Beinen, konnte sich jedoch nicht bewegen. Sicher, er hätte sich mit einem Kampfsprung, den selbst der schwächste Dunkelelf noch schaffte, retten können, doch die nahen Bäume behinderten ihn und er konnte sich nicht rühren. Er versuchte einen Eulenruf über die Lippen zu bringen, doch sein Mund war wie ausgetrocknet und so entfuhr ihm kein Laut.
Mit einer kreiselnden Bewegung zog die Priesterin eine blitzende Sichel aus dem Ärmel ihrer schwarzen, langen Kutte. Mit der anderen Hand vollführte sie einen Schlenker in der Luft und beschwor so einen Meteoritenhagel herauf. Mit einer unglaublichen Wärmewallung schossen die Gesteinsbrocken nieder. Der Betende verharrte noch immer in seiner Position, bis die Geschosse auf eine Manneslänge nah gekommen waren. Ruckartig stemmte er seinen Oberkörper nach oben und faltete seine Hände in der Luft, um sie sofort auseinander zu reißen. Fingerlängen vor ihm drehten die Meteoriten ab und krachten in die nahe liegenden Bäume, die schwarz verkohl in sich zusammen stürzten. Er jedoch murmelte ein paar leise Worte, Beschwörungen wie Dandruil vermutete, und auf einmal schossen Blitze aus dem Himmel und trafen die Sakkarpriesterin, die unter qualvollen Gestöhn zusammenbrach.
„Sie haben also doch Gefühle …“ „Nein, haben sie nicht. Das Geschrei dient nur um andere Priesterinnen anzulocken. Aber komm jetzt. Gleich tauchen sicher noch welche auf!“ Dandruil hatte kaum bemerkt, wie der Verhüllte so schnell neben hatte gelangen können. Sonderbar. Aber wo bleibt Gondar? Ihm ist doch wohl hoffentlich nichts passiert? „Beeil dich!“ Der Andere riss ihn am Arm mit sich in den Wald und Dandruil bemerkte jetzt erst, dass sich die Fesseln um seine Beine gelöst hatten. Widerwillig flüchtete er mit ihm. „Aber mein Freund …“ Wütend blieb der Andere stehen, drehte sich fahrig zu Dandruil um und fuhr diesen barsch an: „Und wenn er dein Freund war, wo war er dann als du ihn brauchtest?“ Unbeantwortet ließ der Verhüllte in Stehen und ging tiefer in den Wald hinein. Hastig rannte Dandruil ihm hinter her, um sich nicht noch in diesem Gestrüpp zu verlaufen.
Keuchend brachen sie durch den Waldrand und blieben erstaunt stehen, als sie dort Gondar im Kampf mit einem Räuber sahen. Fasziniert blieben sie stehen und sahen zu, wie die beiden in der Schnelle der Bewegung zu einem verflossen. Nur Fingerbreit von einander entfernt schabten die beiden Klingen übereinander und Gondar konnte die tiefschwarzen Augen des Räubers sehen. Mit Schwung drehte er sich einmal und wollte dann den Gauner am Herzen treffen, doch der sah dessen Parade voraus und blockte wieder exzellent ab. Die Schwerter übereinander schabend gingen sie beide im Kreis, bis der Räuber ruckartig nach hinten sprang und mit dem gezückten Schwert seitwärts auf Gondar zu lief. Dieser konnte jedoch nicht sehen, wie der andere mit seinem linken Arm nach einem vergifteten Dolch tastete, den er in seinem Ärmel versteckt hatte. Lässig blockte Gondar den Angriff, merkte jedoch erst zu spät aus den Augenwinkeln, dass das nur eine Finte gewesen war. Er wollte sich durch eine Rückwärtsrolle aus der Reichweite des Dolches bringen, doch der Räuber hatte schon zugestochen und blickte diesen triumphierend an. Röchelnd und in Todeskrämpfe verfallen wand Gondar sich am Boden. „Dandruil …“
Wie aus einer Starre erlöst rannten beide sofort zu dem Gefallen. Schon im Laufen flüsterte der Verhüllte seine Formel und ein Blitz schoss aus dem Himmel. Vom Räuber blieb nur ein Häufchen Asche übrig. Unterdessen war Dandruil bei Gondar angekommen und begann in seinem Rucksack nach einem Gegengift zu suchen. Gefunden! Mit sichtlicher Erleichterung zog er eine bauchige Flasche mit grünem Inhalt aus diesem und beugte sich zu Gondar, der auf dem Boden lag. „Hier, trink!“ Er schob seine Hand unter dessen Kopf, hob diesen an und flößte ihm das Elixier ein. Es gluckerte leise, als die Medizin Gondars Kehle herunterrann. Nach einiger Zeit war die Flasche leer und Dandruil verstaute sie wieder in seinem Rucksack. „Danke. Das war echt knapp. Diese hinterhältige Ratte griff mich an, als ich mich gerade durch die Büsche schlagen wollte. Feiges Pack … aber wer ist eigentlich dieser Kerl da?“ „Das ist mein Retter und …“ „Ich bin Kandir.“ Mit diesen Worten schlug Kandir zum ersten Mal seine Kapuze zurück und man konnte deutlich erkennen, dass er ein Seraphim war. Ein männlicher Seraphim. Seine blonden Haare waren über dem Kopf zu einem Zopf geflochten und gaben den Blick frei auf sein makelloses Gesicht. Die Augen von ihm strahlten blau in die Umgebung und seine Lippen waren leicht geschwungen. „Soso … ein Seraphim. Ihr gebt euch also auch neuerdings mit Anderen ab? Aber da du uns ja jetzt geholfen hast kannst du ja gehen!“ Gondar, ich finde das ist nicht sehr angebracht …“ „Und du nennst dich Freund? Du hättest ihn hier verrecken lassen! Die Dunkelelfen sind doch alle gleich!“ „Sag das noch mal! Da sieht man’s mal wieder: Seraphim sind hinterlistig, durchtrieben und haben Vorurteile!“ „Und Dunkelelfen sind brutal, dumm und starrsinnig!“ „Besser als …“ „Ruhe jetzt!“ Wütend sprang Dandruil zwischen die beiden Streitenden. „Ihr beruhigt euch jetzt erst mal wieder. Und in der Zeit kann uns Kandir ja erzählen wo er herkommt und wo er hin will. Ich bin übrigens Dandruil und das ist Gondar.“ Grimmig starrten sich Gondar und Kandir immer noch an, bis dieser dann anfing zu reden: „Ich komme aus der Klosterfeste am Eisbachpass und überbrachte eine wichtige Nachricht in das Kloster nahe Silberbach. Auf dem Rückweg kam ich hier an diesem Gebetstein vorbei und legte eine kurze Pause ein. Dabei hast du mich ja überrascht.“ „Ist ja interessant! Ich muss auch ins Kloster … da können wir doch zusammen reisen!“ „Natürlich. Und wohin muss dieser … Gewaltklotz?“ „Ganz bestimmt nicht in dieses Kloster zu diesen Etepetete Leuten. Und außerdem geht dich das nen Dreck an, wo ich hin will!“ „War ja klar, dass so nen Hau-druff-Halodrian nichts mit Kunst und Muse anfangen kann.“ „Besser sich wehren können, als nur andere voll zu sabbeln. Und außerdem … ich dachte es gäbe nur weibliche Seraphim?“ Diese Worte drangen wie ein Dolch in Kandir. Dandruil war jedoch schlau genug um dazwischen zu gehen. „Fein. Dann reisen wir jetzt also zusammen. Kommt, dann erreichen wir im Morgengrauen noch Reckenheim!“ Stramm marschierte Dandruil einfach los ohne sich umzusehen. Mit einem lauten Piepsen tauchte das klein Rotkehlchen wieder aus seinem Rucksack auf und flog nun vergnügt um ihn herum.
„Wenn du ihm etwas tust …“ „Dann was?“ Schweigend blickten sich die Beiden lange in die Augen, bevor sie Dandruil nacheilten, der bereits im Nebel zu verschwinden schien.
Noch ein Feind mehr! Das wird ja immer schwieriger! Und ich hab auch nicht mehr so viel Zeit. Eigentlich hätte er das nicht überleb! Wäre nur dieser verdammte Seraphim nicht gewesen! Aber mir kommt da gerade schon eine neue Idee!
Mit einem lauten Zischen brach ein Pfeil aus dem Nebel hervor und traf Dandruil mitten in die Brust, sodass er röchelnd zusammen brach. „Dandruil!“ Ein Aufschrei entfuhr den beiden Gefährten, als sie sahen wie dieser zusammen stürzte und sich Blut auf seiner Kutte bildete. „Nein …“
... comment