Sonntag, 17. Juni 2007
Kapitel V - Der Auftrag
darbuit, 15:44h
Der Mond leuchtete durch das milchige Fenster und ließ etwas Licht in den Raum gelangen. Auf dem alten Schreibtisch aus gebeizter Eiche stapelten sich Pergamentrolle und andere Blätter und wurden nur durch den schwachen Schein einer Ölfunzel erhellt. Das Feuer des Kamins verströmte zugleich eine wohlige Wärme als auch einen intensiven Geruch nach Kiefer im Raum, während das Holz laut knackend verbrannte. Ein flackernder, sich immer wandelnde Lichtschein ging von dem Feuer ab und erhellte die zwei hohen Lehnstühle, die dort standen. Ein Rascheln ertönte, als Luc eine Pergamentrolle zusammenschlug.
„Wo kann das nur sein?“ Erschöpft nahm er die Brille ab und rieb sich die Augen. „Wo kann das nur sein?“ Verzweifelt setze er sich die kleine gebogene Nickelbrille wieder auf die pummelige Nase und nahm sich die nächste Pergamentrolle zur Brust.
Unruhig wälzte sich Kandir oben auf der Matte auf dem Boden im Schlaf. Seine Lieder flatterten und Falten bildeten sich auf seiner Stirn als hätte er einen besonders schlimmen Alptraum. Ein Schweißtropfen floss ihm über die Stirn und er begann leise vor sich hinzumurmeln, während er sich von einer auf die andere Seite warf. „NEIN! Angris! …. nein ….“ Als die letzten Worte über seine Lippen kamen, riss er schlagartig die Augen auf. Sein Puls beruhigte sich langsam wieder, während er sich mühsam aufrichtete und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Ärgerlich wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht und flocht sich wieder seinen Zopf. Langsam ging er danach auf die Bodenklappe zu und machte sich an den Abstieg.
Wo mag er jetzt wohl sein? Gondar lag auf dem Stein und starrte in die Lichtreflexe, die der Mond auf der Wasseroberfläche erzeugte. Ich sollte mir nicht so viele Sorgen um ihn machen. Er wird schon gut zurecht-kommen. Verzweifelt hatte er bereits seit einiger Zeit versucht zu schlafen, hatte jedoch im Traum immer wieder nur gesehen wie Kandir hilflos gefoltert oder getötet wurde und war nach einigen Schreckenssekunden schweißgebadet aufgewacht. Ach … die Liebe… Ich muss mich zusammenreißen! Es gibt wichtigeres im Leben! Mürrisch ließ er sich wieder sinken und versuchte zum wiederholten Male einzuschlafen.
„Ah, Kandir! Der Schlaf hat wohl doch nicht solange gehalten.“ „Woher wusstest du, dass ich komme?“ Erstaunt ging der Seraphim die letzten paar Schritte an den Zwerg heran, bevor dieser sich endlich zu ihm umdrehte. „Zwergenintuition.“ Er tippte sich auf die Nase und wandte sich wieder seinen Rollen zu. „Und außerdem – so laut wie du gekommen bist, hätte dich jeder gehört.“ Mit einem neckischen Unterton in der Stimme setzte er noch eine Bemerkung dazu und schob zugleich die nächste Rolle beiseite. „Was suchst du?“ Müde fuhr Kandir sich durchs Haar und zog einen der Stühle vom Feuer heran. „Einen Plan vom Gefängnis in Reckenheim. Ich bin sicher, dass er hier irgendwo sein muss.“ „Wie sieht deine Idee aus?“ „Ich weiß, dass er irgendwo einen geheimen Zugang gibt. Man landet dann in einem der Lagerräume und muss nur noch einen Wachposten erledigen.“ „Das erinnert mich an damals … wo man auch nur einen Wachposten erledigen musste.“ Luc setzte die Brille wieder ab und schaute Kandir lange in die Augen, bevor er antwortete. „Kandir. Es war nicht deine Schuld!“ „Aber ich fühle mich so!“ Verzweifelt legte Kandir den Kopf auf seine Hände und seufzte leise. Luc klopfte ihn auf den Rücken und suchte weiter nach seiner Schriftrolle.
„Wir waren damals sehr überrascht, dass du den Auftrag bekommen hast.“ Luc sprach erst nach einiger Zeit wieder, während Kandir sich wieder beruhigt hatte. „Ich und die Anderen, wir wussten nicht, ob wir dich hindern oder die helfen sollten. Aber … Angris war damals sehr von die überzeugt, und so wurdest du aufgenommen. Ich weiß noch wie ich diesen Ring in mühsamer Arbeit hergestellt habe. Es war mein letzter vor diesem schrecklichen Krieg. Seitdem habe ich nicht mehr eine Unze Gold oder Silber gesehen.“ Luc hob seine linke Hand und betrachtete seinen Ring. Ein goldener Ring mit einem weißen Rubin, der von matt grün schimmernden Streifen durchsetzt war. Er strich sanft über die polierte Oberfläche, bevor er weitersprach. „Und dann kam diese schreckliche Nacht. Vilya hatte uns zu sich gerufen. Es sollte der entscheidende Schlag werden. Der wurde es dann auch!“ Mit einem leichten Anflug von Selbstironie hatte er zuletzt geredet und schwieg jetzt. Kandir hatte seinen Kopf auf den Tisch und darüber die Arme gelegt, so dass es aussah, als ob er nichts hören wollte. Nichts von dieser grausamen Wahrheit, die seine eigene war. „Ich konnte nichts machen! Wir waren dort in dieser Grotte. Wir waren uns nicht sicher, aber mein Gefühl hatte mich bis jetzt noch nie betrogen! Und es ging doch um ihn – den Auserwählten. Nachdem ich ihn dort verlor, musste ich Jahre damit zubringen, um ihn wieder zu finden.“ Grausame Bilder von Zerstörung und schreienden Menschen zogen an seinem inneren Antlitz vorbei. „Es ging alles so schnell! Auf einmal waren sie da und alle schrieen. Keiner rührte sich mehr und Angris und sie starrten sich an. Dann sagte er nur:„Er gehört uns!“ Er ging auf ihn zu und wollte ihn schon nehmen – sie hatten sich nicht gerührt – als einer ihn plötzlich angriff. Ich hatte keine Zeit mehr!“ Kandir war den Tränen nahe und versuchte zu vergessen – die Bilder vor seinen Augen – die Schmerzen, die wieder hochkamen – die Verzweiflung und das Gefühl versagt zu haben. „Wir wissen, dass es für dich von uns allen am schlimmsten war. Aber trotzdem … dein Auftrag war nie, irgendwen zu retten. Alle anderen waren egal, solange du ihn hattest. Warum?“ Kandir sank im Stuhl zurück und schloss die Augen. Er hatte gewusst, dass dieser Moment irgendwann kommen würde, doch er war nicht so weit … noch nicht bereit zum Selbstbekenntnis. Er schämte sich für sich selbst. „Es war … es ist anders als ihr alle denkt. Ich war … bin nicht das was ich sein will … oder soll. Ich bin …“ „Ich hab’s!“ Triumphierend zog Luc eine Rolle nach vorne, auf der man mit geübtem Auge ein paar Kaffeeflecken erkennen konnte. Auf einmal schien er völlig desinteressiert an Kandir und hatte nur noch Augen für die leere Karte. Kandir seufzte unglücklich und hievte sich aus dem Lehnstuhl hoch, um an den nahen Kamin zu gehen, damit er sich seine kühlen Hände wärmen konnte.
Als die Sonne bereits ihre ersten Strahlen vorsichtig in das Haus von Luc warf, kam dieser durch die Tür herein, gefolgt von einer schmächtigen Person in brauner Kutte, die fast wie ein Wanderpriester wirkte. Kandir schnarchte auf seinem Stuhl. Während Luc seinen Plan geschmiedet hatte, war er erst eine Zeit nervös im Zimmer rumgetigert, hatte sich dann hingesetzt und zugeschaut und war schlussendlich wieder eingeschlafen. Sein Kopf lag auf der Tischplatte, die Arme hingen schlaff herunter und die hellen Haare waren über das Gesicht gefallen.
„Kandir!“ Luc kam näher heran und zog dabei mit einer Hand die andere Person hinter sich her. „Kandir, wach endlich auf du Schlafmütze!“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schlug er Kandir auf den Hinterkopf, während er sich zugleich zu der Unbekannten umwandte. „Ich glaube Nugua, dass du hier drin deine Kapuze ablegen kannst.“ „Besser Vor- als Nachsicht!“ Mit einem Schmunzeln im Gesicht schlug sie die Kapuze zurück und schüttelte in einer seitlichen Drehung den Kopf, sodass ihre langen roten Haare durch die Luft sausten. „Das solltest du doch eigentlich am besten wissen!“ Sie grinste ihn keck an und begann mit ihrer einen Hand die zersausten Haare zu richten, während sie mit der anderen einen goldenen Ring an ihrer Hose polierte. Nachdem sie die Hand nach einem kurzen Augenblick wieder hochnahm, funkelte der weiße Rubin mit roten Streifen erstaunlich hell und klar. Luc stellte eine Kanne mit heißem Wasser auf den Ofen und suchte jetzt nach einigen Kräutern, während Kandir ausgiebig gähnte und aufstand. „Nugua“, tonlos drangen die Worte aus seinem Mund, als er diese entdeckte.
„Hallo, Kandir!“ Während Luc mittlerweile im Nebenraum nach den Kräutern in staubigen Kisten kramte, ging Nugua auf Kandir zu, der verzweifelt nach hinten auswich. „Findest du es hier nicht auch – “, mit einem gekonnten Zug riss sie die Kutte nach unten, „ – heiß?“ Kandir tastete mit den Händen nach hinten und erfühlte ein Bücherregal. „Nicht so direkt jetzt, nein, eher nicht.“ Er versuchte zur Seite auszuweichen, doch urplötzlich lehnte sie am Regal und schaute ihn kokett an. „Dann kannst du mich ja kühlen.“ Sie streckte ihre Hand aus und strich damit um Kandirs Gesicht. „Ihr glaubt ja nicht, wo ich den noch gefunden …“ Luc stand mit einem Kräuterbündel in der Hand in der Tür und starrte zuerst die Kutte auf dem Boden an, und dann Kandir und Nugua an der Wand. Belustigt verkniff er sich ein Lachen und ging zum Kamin. Dankbar faltete Kandir die Hände und sandte ein kurzes Stoßgebet gen Zimmerdecke. Nugua hingegen starrte Luc zornig an, um dann die Kutte vom dem Boden aufzuheben.
Kurze Zeit später saßen sie alle zusammen an dem großen Schreibtisch und Luc erläuterte ihnen beiden seinen Plan. Nugua warf ihm noch ab und zu einen grimmigen Blick zu, hört aber ansonsten gespannt zu. „Wenn man über die Brücke bei Reckenheim geht und dann links entlang des Flusses wandert, kommt man relativ schnell zu einem kleinen Wäldchen. Dort gibt es einen versteckten Stollen, der einen direkt ins Gefängnis führt. In diesem kommt der Stollen in irgendeiner kleinen, kaum genutzten Abstellkammer hoch. Von da aus müsst ihr dann nur noch erkunden, in welcher Zelle Dandruil gefangen gehalten wird.“ „Was heißt hier ihr? Kommst du nicht mit?“ Nervös trommelte Kandir mit den Fingern auf den Tisch bei dem Gedanken allein mit Nugua in einem engen Stollen zu sein. „Ja, werdet ihr.“ Luc massierte sich mit einer Hand seine Schulter, bevor er weiterredete. „Ich glaube, ich bin langsam zu alt für so etwas.“ „Aber … nein! Das geht doch nicht! Ich werde nicht …“ „Still jetzt, Kandir! Du wirst. So – und jetzt macht euch fertig. Ihr solltet gleich ein bisschen schlafen, damit ihr heute Nacht richtig wach seid!“
„Oh, Kandir! Hoffentlich geht es dir gut, mein Schatz!“ Verzweifelt tigerte Gondar auf dem Felsen herum. Der Mond war bereits aufgegangen und erleuchtete den dahin schießenden Fluss und das sandige Ufer. „Kandir…“ Verträumt malte Gondar den Namen in den Sand, bevor er ihn hastig wieder verwischte. „Alles Unsinn!“ Er versuchte sich zu konzentrieren und legte sich auf den Felsen, als er plötzlich ein lautes Knacken hörte. Sofort legte er sich flach auf den Bauch und robbte in Nähe der Bäume vor, um nicht so schnell gesehen zu werden.
„Gondar! Gondar, wo bist du denn bloß?“, zischte auf einmal ein Stimme aus den Büschen. „Hier“ gab Gondar zurück und urplötzlich stand Kandir vor ihm. „Wo warst du sola…?“, begann er zu reden und sprang auf, als er die zweite Person hinter Kandir wahrnahm. „Wer ist das?“, fragte er skeptisch und wünschte sich, er wäre alleine mit ihm. „Eine Freundin. Sie heißt Nugua.“ „Mehr als nur eine Freundin.“ Sie schlang ihre Arme von hinten um Kandir und dieser versuchte sich der Annäherung zu erwehren. Gondar traten die Tränen in die Augen, als er das sah, doch er ließ sich nichts anmerken. „Wo ist Dandruil?“ „Wir brechen gerade auf, um ihn zu retten. Deswegen kommen wir hier vorbei, damit du uns helfen kannst.“ Mit einem flehenden Blick schaute er Gondar in die Augen, der zu tief verriet, dass dies eine eher abgewandelte Wahrheit war, und der wirkliche Plan anders ausgesehen hatte. Gondar spielte einen Moment mit der Macht der Entscheidung nickte dann aber nur und schloss sich den Beiden an.
„Wo kann das nur sein?“ Erschöpft nahm er die Brille ab und rieb sich die Augen. „Wo kann das nur sein?“ Verzweifelt setze er sich die kleine gebogene Nickelbrille wieder auf die pummelige Nase und nahm sich die nächste Pergamentrolle zur Brust.
Unruhig wälzte sich Kandir oben auf der Matte auf dem Boden im Schlaf. Seine Lieder flatterten und Falten bildeten sich auf seiner Stirn als hätte er einen besonders schlimmen Alptraum. Ein Schweißtropfen floss ihm über die Stirn und er begann leise vor sich hinzumurmeln, während er sich von einer auf die andere Seite warf. „NEIN! Angris! …. nein ….“ Als die letzten Worte über seine Lippen kamen, riss er schlagartig die Augen auf. Sein Puls beruhigte sich langsam wieder, während er sich mühsam aufrichtete und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Ärgerlich wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht und flocht sich wieder seinen Zopf. Langsam ging er danach auf die Bodenklappe zu und machte sich an den Abstieg.
Wo mag er jetzt wohl sein? Gondar lag auf dem Stein und starrte in die Lichtreflexe, die der Mond auf der Wasseroberfläche erzeugte. Ich sollte mir nicht so viele Sorgen um ihn machen. Er wird schon gut zurecht-kommen. Verzweifelt hatte er bereits seit einiger Zeit versucht zu schlafen, hatte jedoch im Traum immer wieder nur gesehen wie Kandir hilflos gefoltert oder getötet wurde und war nach einigen Schreckenssekunden schweißgebadet aufgewacht. Ach … die Liebe… Ich muss mich zusammenreißen! Es gibt wichtigeres im Leben! Mürrisch ließ er sich wieder sinken und versuchte zum wiederholten Male einzuschlafen.
„Ah, Kandir! Der Schlaf hat wohl doch nicht solange gehalten.“ „Woher wusstest du, dass ich komme?“ Erstaunt ging der Seraphim die letzten paar Schritte an den Zwerg heran, bevor dieser sich endlich zu ihm umdrehte. „Zwergenintuition.“ Er tippte sich auf die Nase und wandte sich wieder seinen Rollen zu. „Und außerdem – so laut wie du gekommen bist, hätte dich jeder gehört.“ Mit einem neckischen Unterton in der Stimme setzte er noch eine Bemerkung dazu und schob zugleich die nächste Rolle beiseite. „Was suchst du?“ Müde fuhr Kandir sich durchs Haar und zog einen der Stühle vom Feuer heran. „Einen Plan vom Gefängnis in Reckenheim. Ich bin sicher, dass er hier irgendwo sein muss.“ „Wie sieht deine Idee aus?“ „Ich weiß, dass er irgendwo einen geheimen Zugang gibt. Man landet dann in einem der Lagerräume und muss nur noch einen Wachposten erledigen.“ „Das erinnert mich an damals … wo man auch nur einen Wachposten erledigen musste.“ Luc setzte die Brille wieder ab und schaute Kandir lange in die Augen, bevor er antwortete. „Kandir. Es war nicht deine Schuld!“ „Aber ich fühle mich so!“ Verzweifelt legte Kandir den Kopf auf seine Hände und seufzte leise. Luc klopfte ihn auf den Rücken und suchte weiter nach seiner Schriftrolle.
„Wir waren damals sehr überrascht, dass du den Auftrag bekommen hast.“ Luc sprach erst nach einiger Zeit wieder, während Kandir sich wieder beruhigt hatte. „Ich und die Anderen, wir wussten nicht, ob wir dich hindern oder die helfen sollten. Aber … Angris war damals sehr von die überzeugt, und so wurdest du aufgenommen. Ich weiß noch wie ich diesen Ring in mühsamer Arbeit hergestellt habe. Es war mein letzter vor diesem schrecklichen Krieg. Seitdem habe ich nicht mehr eine Unze Gold oder Silber gesehen.“ Luc hob seine linke Hand und betrachtete seinen Ring. Ein goldener Ring mit einem weißen Rubin, der von matt grün schimmernden Streifen durchsetzt war. Er strich sanft über die polierte Oberfläche, bevor er weitersprach. „Und dann kam diese schreckliche Nacht. Vilya hatte uns zu sich gerufen. Es sollte der entscheidende Schlag werden. Der wurde es dann auch!“ Mit einem leichten Anflug von Selbstironie hatte er zuletzt geredet und schwieg jetzt. Kandir hatte seinen Kopf auf den Tisch und darüber die Arme gelegt, so dass es aussah, als ob er nichts hören wollte. Nichts von dieser grausamen Wahrheit, die seine eigene war. „Ich konnte nichts machen! Wir waren dort in dieser Grotte. Wir waren uns nicht sicher, aber mein Gefühl hatte mich bis jetzt noch nie betrogen! Und es ging doch um ihn – den Auserwählten. Nachdem ich ihn dort verlor, musste ich Jahre damit zubringen, um ihn wieder zu finden.“ Grausame Bilder von Zerstörung und schreienden Menschen zogen an seinem inneren Antlitz vorbei. „Es ging alles so schnell! Auf einmal waren sie da und alle schrieen. Keiner rührte sich mehr und Angris und sie starrten sich an. Dann sagte er nur:„Er gehört uns!“ Er ging auf ihn zu und wollte ihn schon nehmen – sie hatten sich nicht gerührt – als einer ihn plötzlich angriff. Ich hatte keine Zeit mehr!“ Kandir war den Tränen nahe und versuchte zu vergessen – die Bilder vor seinen Augen – die Schmerzen, die wieder hochkamen – die Verzweiflung und das Gefühl versagt zu haben. „Wir wissen, dass es für dich von uns allen am schlimmsten war. Aber trotzdem … dein Auftrag war nie, irgendwen zu retten. Alle anderen waren egal, solange du ihn hattest. Warum?“ Kandir sank im Stuhl zurück und schloss die Augen. Er hatte gewusst, dass dieser Moment irgendwann kommen würde, doch er war nicht so weit … noch nicht bereit zum Selbstbekenntnis. Er schämte sich für sich selbst. „Es war … es ist anders als ihr alle denkt. Ich war … bin nicht das was ich sein will … oder soll. Ich bin …“ „Ich hab’s!“ Triumphierend zog Luc eine Rolle nach vorne, auf der man mit geübtem Auge ein paar Kaffeeflecken erkennen konnte. Auf einmal schien er völlig desinteressiert an Kandir und hatte nur noch Augen für die leere Karte. Kandir seufzte unglücklich und hievte sich aus dem Lehnstuhl hoch, um an den nahen Kamin zu gehen, damit er sich seine kühlen Hände wärmen konnte.
Als die Sonne bereits ihre ersten Strahlen vorsichtig in das Haus von Luc warf, kam dieser durch die Tür herein, gefolgt von einer schmächtigen Person in brauner Kutte, die fast wie ein Wanderpriester wirkte. Kandir schnarchte auf seinem Stuhl. Während Luc seinen Plan geschmiedet hatte, war er erst eine Zeit nervös im Zimmer rumgetigert, hatte sich dann hingesetzt und zugeschaut und war schlussendlich wieder eingeschlafen. Sein Kopf lag auf der Tischplatte, die Arme hingen schlaff herunter und die hellen Haare waren über das Gesicht gefallen.
„Kandir!“ Luc kam näher heran und zog dabei mit einer Hand die andere Person hinter sich her. „Kandir, wach endlich auf du Schlafmütze!“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schlug er Kandir auf den Hinterkopf, während er sich zugleich zu der Unbekannten umwandte. „Ich glaube Nugua, dass du hier drin deine Kapuze ablegen kannst.“ „Besser Vor- als Nachsicht!“ Mit einem Schmunzeln im Gesicht schlug sie die Kapuze zurück und schüttelte in einer seitlichen Drehung den Kopf, sodass ihre langen roten Haare durch die Luft sausten. „Das solltest du doch eigentlich am besten wissen!“ Sie grinste ihn keck an und begann mit ihrer einen Hand die zersausten Haare zu richten, während sie mit der anderen einen goldenen Ring an ihrer Hose polierte. Nachdem sie die Hand nach einem kurzen Augenblick wieder hochnahm, funkelte der weiße Rubin mit roten Streifen erstaunlich hell und klar. Luc stellte eine Kanne mit heißem Wasser auf den Ofen und suchte jetzt nach einigen Kräutern, während Kandir ausgiebig gähnte und aufstand. „Nugua“, tonlos drangen die Worte aus seinem Mund, als er diese entdeckte.
„Hallo, Kandir!“ Während Luc mittlerweile im Nebenraum nach den Kräutern in staubigen Kisten kramte, ging Nugua auf Kandir zu, der verzweifelt nach hinten auswich. „Findest du es hier nicht auch – “, mit einem gekonnten Zug riss sie die Kutte nach unten, „ – heiß?“ Kandir tastete mit den Händen nach hinten und erfühlte ein Bücherregal. „Nicht so direkt jetzt, nein, eher nicht.“ Er versuchte zur Seite auszuweichen, doch urplötzlich lehnte sie am Regal und schaute ihn kokett an. „Dann kannst du mich ja kühlen.“ Sie streckte ihre Hand aus und strich damit um Kandirs Gesicht. „Ihr glaubt ja nicht, wo ich den noch gefunden …“ Luc stand mit einem Kräuterbündel in der Hand in der Tür und starrte zuerst die Kutte auf dem Boden an, und dann Kandir und Nugua an der Wand. Belustigt verkniff er sich ein Lachen und ging zum Kamin. Dankbar faltete Kandir die Hände und sandte ein kurzes Stoßgebet gen Zimmerdecke. Nugua hingegen starrte Luc zornig an, um dann die Kutte vom dem Boden aufzuheben.
Kurze Zeit später saßen sie alle zusammen an dem großen Schreibtisch und Luc erläuterte ihnen beiden seinen Plan. Nugua warf ihm noch ab und zu einen grimmigen Blick zu, hört aber ansonsten gespannt zu. „Wenn man über die Brücke bei Reckenheim geht und dann links entlang des Flusses wandert, kommt man relativ schnell zu einem kleinen Wäldchen. Dort gibt es einen versteckten Stollen, der einen direkt ins Gefängnis führt. In diesem kommt der Stollen in irgendeiner kleinen, kaum genutzten Abstellkammer hoch. Von da aus müsst ihr dann nur noch erkunden, in welcher Zelle Dandruil gefangen gehalten wird.“ „Was heißt hier ihr? Kommst du nicht mit?“ Nervös trommelte Kandir mit den Fingern auf den Tisch bei dem Gedanken allein mit Nugua in einem engen Stollen zu sein. „Ja, werdet ihr.“ Luc massierte sich mit einer Hand seine Schulter, bevor er weiterredete. „Ich glaube, ich bin langsam zu alt für so etwas.“ „Aber … nein! Das geht doch nicht! Ich werde nicht …“ „Still jetzt, Kandir! Du wirst. So – und jetzt macht euch fertig. Ihr solltet gleich ein bisschen schlafen, damit ihr heute Nacht richtig wach seid!“
„Oh, Kandir! Hoffentlich geht es dir gut, mein Schatz!“ Verzweifelt tigerte Gondar auf dem Felsen herum. Der Mond war bereits aufgegangen und erleuchtete den dahin schießenden Fluss und das sandige Ufer. „Kandir…“ Verträumt malte Gondar den Namen in den Sand, bevor er ihn hastig wieder verwischte. „Alles Unsinn!“ Er versuchte sich zu konzentrieren und legte sich auf den Felsen, als er plötzlich ein lautes Knacken hörte. Sofort legte er sich flach auf den Bauch und robbte in Nähe der Bäume vor, um nicht so schnell gesehen zu werden.
„Gondar! Gondar, wo bist du denn bloß?“, zischte auf einmal ein Stimme aus den Büschen. „Hier“ gab Gondar zurück und urplötzlich stand Kandir vor ihm. „Wo warst du sola…?“, begann er zu reden und sprang auf, als er die zweite Person hinter Kandir wahrnahm. „Wer ist das?“, fragte er skeptisch und wünschte sich, er wäre alleine mit ihm. „Eine Freundin. Sie heißt Nugua.“ „Mehr als nur eine Freundin.“ Sie schlang ihre Arme von hinten um Kandir und dieser versuchte sich der Annäherung zu erwehren. Gondar traten die Tränen in die Augen, als er das sah, doch er ließ sich nichts anmerken. „Wo ist Dandruil?“ „Wir brechen gerade auf, um ihn zu retten. Deswegen kommen wir hier vorbei, damit du uns helfen kannst.“ Mit einem flehenden Blick schaute er Gondar in die Augen, der zu tief verriet, dass dies eine eher abgewandelte Wahrheit war, und der wirkliche Plan anders ausgesehen hatte. Gondar spielte einen Moment mit der Macht der Entscheidung nickte dann aber nur und schloss sich den Beiden an.
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